Frage an Gregor Amann von Stefano M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Amann,
mag sein, dass die Zahl der Arbeitslosen (Alg I) von über 5 Millionen auf 3 Millionen gesunken sind. Die Bundesagentur für Arbeit hat aber im Januar 2009 an insgesamt 5 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II ausgezahlt...
"Die Rente mit 67 sei notwendig wegen der Demographie" begründen die "Eierdiebe", die uns diese "unsoziale Rente" beschert haben. Die "Eierdiebe" unterschlagen, dass sich die Produktivität pro Beschäftigte zwischen1985 und 2008 nahezu verdoppelt hat. Durch die Steigerungen der Produktivität wird also der Effekt der demographischen Entwicklung, seit der 50er Jahren, mehr als ausgeglichen. Wo bleibt die "Maschinensteuer", die Willy Brand vorgeschlagen hatte?
Der zutreffende Hinweis im "Der Grundstein" Nr. 7/8 „Die Rente mit 67 schafft keine Arbeit, aber jeden Arbeiter!“ ist auf der Frankfurter Montagsdemonstration vom 8. Juni sehr begrüßt worden. Sie hat zur Talkrunde mit Bundestagsabgeordneten vom 20. Juni zwei Montagsdemonstrierer nach Fulda delegiert. Vor dem Hotel „Maritim“ wurde an allen Teilnehmer/innen Flugblätter mit folgenden Forderungen verteilt:
• statt Arbeitslosigkeit und Hartz IV: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich!
• statt Minilohn: Kein Lohn unter 10 Euro/Stunde!
• statt arbeiten bis 67 und Arbeitslosigkeit für die Jugend:
Rente mit 60 für Männer und 55 für Frauen!
• zur Durchsetzung unserer Forderungen: Für ein allseitiges gesetzliches Streikrecht!
Bei gleichem Produktionsumfang würde allein in Deutschland zusätzlich rund 8 Millionen Arbeitsplätze benötigen. Höchste Zeit also für neue Zeiten! 6 Stunden/Tag, von Mo. - Fr.
„Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still,
wenn dein starker Arm es will ...“ – diese berühmten Verse aus einem alten Lied der
Arbeiterbewegung, muss mit Leben erfüllt werden, wenn wir nicht verarmen wollen!
Wie stehen Sie zu den o. aufgeführten Forderungen?
Mit freundlichen Grüßen
Stefano Marinello
Sehr geehrter Herr Marinello,
Arbeitslosengeld II (ALG II) wird nicht nur an Arbeitslose ausgezahlt, sondern auch an deren Familienangehörige, die in einer „Bedarfsgemeinschaft“ mit ihnen wohnen. Darüber hinaus auch an einen nicht unerheblichen Anteil von so genannten „Aufstockern“, also Menschen, die trotz Arbeit (zum Teil sogar in Vollzeit) so wenig verdienen, dass sie noch zusätzlich ALG II beziehen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Damit wollen wir Sozialdemokraten uns nicht abfinden und setzen uns deshalb für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein. Trotz des Widerstands von CDU/CSU gelang es uns, in der Großen Koalition zumindest einige branchenbezogene Mindestlöhne durchzusetzen. So sind dadurch inzwischen über 3 Millionen Arbeitnehmer in 9 Branchen vor Lohndumping geschützt. Uns reicht das noch nicht – wer verbindliche Mindestlöhne für alle Arbeitnehmer in Deutschland haben möchte, muss deshalb am 27.9. SPD wählen!
Wen Sie als „Eierdiebe“ bezeichnen und warum, verstehe ich nicht. Aber wer glaubt, dass bei einer kontinuierlich steigenden Lebenserwartung (sprich: Rentenbezugsdauer) - und dies in Verbindung mit einer dramatisch gesunkenen Geburtenrate -, die Lebensarbeitszeit immer gleich bleiben (oder sogar noch verkürzt werden) kann, hat entweder nie das Grundprinzip unserer umlagefinanzierten Rentenversicherung verstanden oder kann nicht rechnen. Es ist das Verdienst dieser Regierung und ihrer Vorgängerregierung, dass sie (nach Jahren des Nichtstuns der schwarz-gelben Kohl-Regierung, in der lediglich die Rentenversicherungsbeiträge immer weiter angehoben wurden) sowohl die gesetzliche Rente für zukünftige Rentnergenerationen gesichert als auch den Rentenversicherungsbeitrag stabil gehalten hat. Und zwar indem sie u.a. (neben weiteren Maßnahmen) das Renteneintrittsalter langfristig (gilt erst voll ab 2029) auf 67 angehoben hat. Dies sei aufgrund des Produktivitätsfortschritts gar nicht notwendig gewesen, ist das Lieblingsargument von Oskar Lafontaine und seinen Freunden, trifft aber leider nicht zu. Die demografische Entwicklung, also das sich rapide verändernde Zahlenverhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern, verläuft so dramatisch, dass der (zu erwartende) Produktivitätsfortschritt dafür nicht ausreicht. Zu glauben, wir könnten in dieser Situation auch noch das Rentenalter absenken (wie in dem von Ihnen zitierten Flugblatt gefordert) ist völlig absurd und fern jeder Realität. Ich habe großes Verständnis dafür, dass die Anhebung des Renteneintrittsalter nicht sehr populär ist, aber das Leben ist nun einmal keine „Wünsch Dir was“-Sendung. Vielmehr muss Politik Probleme auch dann lösen, wenn die Realität keine schmerzfreien Auswege zulässt.
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Amann, MdB