Frage an Gisela Piltz von Barbara S. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Piltz,
angeregt und besorgt durch die extremen Unruhen in London und weiteren Städten, findet in unserem Freundeskreis zurzeit eine angeregte Diskussion darüber statt, wer für die Vielzahl von Schäden insbesondere an privaten Gebäuden eigentlich haftet. Sollte es zu ähnlichen Ausschreitungen in Deutschland kommen stellen sich hier dringende Fragen u.a für Hauseigentümer.Unsere Nachfrage an unsere eigene private Gebäudeversicherung (Provinzial Rheinland) führte bei unserem Sachbearbeiter vor Ort zu Verunsicherungen und zahlreichen Rückfragen mit den Direktionen und Sachabteilungen. Leider konnte unsere Frage nicht klar beantwortet werden. Insbesondere die Frage nach Schäden durch innere Unruhen wurde nicht konkret beantwortet. Es wurde lediglich darauf verwiesen, dass (bekanntermaßen) durch kriegsähnliche Zustände natürlich keine Versicherung haftet.Aber wie wird hier was definiert? Wer entscheidet, ob bei drei Jugendlichen, die ein Gebäude in Brand setzen ein Versicherungsschaden eintritt, bei 50, 100 oder 500 Jugendlichen, die ähnlich wie in London ganze Straßenzüge abfackeln aber nicht? Ersteres fällt noch unter Vandalismus - letzteres "möglicherweise" dann aber zu "innere Unruhen", die nicht versichert sind. Was / wie ist die Rechtslage, wer kommt für Schäden dieser Art auf? Wer entscheidet was "noch" Vandalismus und was kriegsähnliche Zustände / innere Unruhen sind? Die Bundesregierung, die den Begriff dafür ins Spiel bringen muss oder bereits schon (oder allein) die Versicherungsgesellschaft? Gibt es von staatlicher Seite einen "Vorsorgefonds", der in solchen Fällen unbürokratisch Anwendung findet (und hoffentlich zurzeit nicht zwecks Rettung europäischer Nachbarländer anderweitig in Anspruch genommen wird)? In der Hoffung, das es eindeutige Antworten gibt bitten ich um entsprechende rechtsrelevante Aussagen und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Barbara Sanner
Sehr geehrte Frau Sanner,
Auskünfte zu konkreten Rechtsfragen kann und darf ich Ihnen in meiner Eigenschaft als Abgeordnete nicht geben. Bitte wenden Sie sich bezüglich konkreter Rechtsfragen an einen Anwalt. Auf Versicherungsrecht spezialisierte Anwälte, die Ihnen konkret auf Ihre Versicherungspolice bezogene Auskünfte erteilen und Ihre Verträge auf deren Reichweite in bestimmten Fällen prüfen können, kann Ihnen Ihre örtliche Anwaltskammer nennen.
Bezüglich Ihrer Sorge, dass auch in Deutschland ähnliche Ausschreitungen wie derzeit in Großbritannien zu befürchten sein könnten, teile ich hingegen die Haltung des Bundesinnenministers Dr. Hans-Peter Friedrich. Er hält Krawallen von den Ausmaßen wie in Großbritannien in deutschen Großstädten für unwahrscheinlich und verwies auf die im Vergleich deutlich bessere soziale Integration in Deutschland. Dennoch ist es auch nach meiner Auffassung notwendig, ein besonderes Augenmerk auf die Chancen von Jugendlichen zu legen und so auch künftig den sozialen Frieden in Deutschland zu erhalten. Dabei darf weder die Prävention von Gewalt durch Aufklärung, Bildung und Wertvermittlung in Elternhaus und Schule zu kurz kommen, noch das aktive Entgegenwirken gegen Gewalt und Gewaltbereitschaft durch die Polizei.
Zu Ihrer Frage hinsichtlich der Begriffe Krieg, kriegsähnliche Zustände und innere Unruhe darf ich auf die geltende Rechtslage und die ständige Rechtsprechung hinweisen. Es hängt bezüglich der Frage, ob innere Unruhen anzunehmen sind, jeweils vom Einzelfall ab [so auch schon das Reichsverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 16.12.1924: "Wann ein solcher Unruhezustand vorliegt, ist Tatfrage."]
Eine Entscheidung, ob aufgrund innerer Unruhen ein Versicherungsfall eintritt oder ausgeschlossen ist, richtet sich nach dem jeweiligen Versicherungsvertrag und der sich daraus bestimmenden Leistungspflicht der Versicherung, wobei jede Entscheidung der Versicherung, ob oder ob nicht sie leisten müsse, selbstverständlich zivilgerichtlich nachprüfbar ist. Der versicherungsrechtliche Begriff der inneren Unruhe ist hierbei zugrunde zu legen [vgl. BGH in VersR 75, 126], wonach es zur Bejahung des Zustands der inneren Unruhe nicht ausreicht, dass bei Versammlungen Einzelne Gewalttaten begehen.
Ob öffentlich-rechtliche Ausgleichsansprüche z.B. aufgrund des Staatshaftungsrechts oder nach dem Tumultschadensgesetz, welches u.a. in Nordrhein-Westfalen Sachschäden, die durch innere Unruhen entstanden sind, regelt, und wenn ja, in welcher Höhe entstehen, richtet sich auch jeweils nach dem Einzelfall und unterliegt erforderlichenfalls der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. Ausgleichspflichtig wäre das jeweils betroffene Bundesland. Auch im öffentlichen Recht reicht es zur Annahme eines Zustands der inneren Unruhe - mithin entsprechend auch zur Begründung von Ansprüchen gegen das jeweilige Bundesland etwa nach dem Tumultschadensgesetz - nicht aus, wenn im Rahmen von Versammlungen Gewalttaten oder Ausschreitungen - wie etwa am 1. Mai - geschehen [vgl. etwa OVG Berlin vom 8.12.2004].
Mit freundlichen Grüßen
Gisela Piltz MdB