Frage an Giesela Brandes-Steggewentz von Günter S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Brandes-Steggewentz,
in unserem vierten und zweitletzten Wahlprüfstein geht es um die gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderungen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.
Im Aktionsplan des Landes Niedersachsen zur Umsetzung des Übereinkommens den vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht: „Die Unrechtserfahrung gesellschaftlicher Ausgrenzung macht es Menschen mit Behinderung schwer, ein Bewusstsein der eigenen Würde zu entwickeln. Ziel muss deshalb sein, Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu gewährleisten.“
Was wollen Sie/Ihre Partei dafür tun, um sicherzustellen, dass die gesellschaftliche und die rechtliche Stellung von Menschen mit Behinderungen gewährleistet werden.
Im zweiten Teil der Frage geht es um einen sehr sensiblen Bereich: die vorgeburtliche Untersuchung in der Schwangerschaft bezüglich einer möglichen Behinderung des Babys. Wie wollen Sie und Ihre Partei ein umfassendes Beratungsangebot vor, während und nach pränataler Diagnostik flächendeckend gewährleisten?
Mit besten Grüßen
Ihr Caritasverband für die Diözese Osnabrück
Sehr geehrter Herr Sandfort,
zum ersten Teil Ihrer Anfrage will ich mit einem Auszug aus unserem Landeswahlprogramm antworten:
DIE LINKE setzt sich in Niedersachsen für eine konsequente Umsetzung des Inklusionsgedankens der UN-Behindertenrechtskonvention ein. Eine inklusive Gesellschaft, in der jeder nach seinen Möglichkeiten gleichberechtigt und ohne Ausgrenzung teilhaben kann, ist das Ziel linker Politik. Inklusion konsequent umzusetzen stellt eine Herausforderung für alle staatlichen Institutionen genauso wie für die Zivilgesellschaft dar.
Die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen stellt den rechtlichen Rahmen dar, der engagiertes politisches Handeln und eine Landesstrategie für Inklusion dringend notwendig macht. Hier ist die CDU/FDP-Landesregierung Antworten schuldig geblieben. Nicht einmal im Schulbereich liegen überzeugende Konzepte vor.
Wir wollen in den nächsten fünf Jahren einen gesellschaftlichen Diskurs mit dem Ziel einer allgemeinen Verhaltensänderung herbeiführen und damit die Politik der Blockade der Inklusion beenden.
Dazu wollen wir folgende Maßnahmen einleiten:
* DIE LINKE setzt sich auch weiterhin für ein barrierefreies Niedersachsen ein. Ob im Verkehr, im Baubereich, in Schulen oder öffentlichen Einrichtungen: Niedersachsen hat einen enormen Nachholbedarf. Wir wollen eine Landesstrategie zur Verwirklichung echter Barrierefreiheit erstellen und umsetzen.
* Die DIN-18040-2 `barrierefreies Bauen` muss sofort in Kraft gesetzt werden.
* Wir starten eine parlamentarische Initiative, mindestens 1000 barrierefreie Ein- und Ausstiege auf niedersächsischen Bahnhöfen als ersten spürbaren Schritt hin zu umfassender Barrierefreiheit einzurichten.
* Wir werden den Druck auf niedersächsische Unternehmen, mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen und dafür geeignete Arbeitsplätze zu schaffen anstatt sich von solchen Verpflichtungen loszukaufen, erhöhen. Mit uns wird das Land dabei als Vorbild vorangehen.
* Wir wollen, dass Behindertenbeiräte von den Betroffenen selbst gewählt und nicht ernannt werden.
* Die Beteiligungsrechte von Menschen mit Behinderungen sind auszubauen. Wir wollen die Beiräte demokratisch wählen lassen, stärken und die kommunale und landesweite Förderung von Selbsthilfegruppen und -verbänden ausbauen.
Im Bildungsbereich setzen wir uns für eine schnelle Umsetzung des Inklusionsgedankens durch landesweite Foren ein, um den Prozess allgemeiner Verhaltensänderung, die die Voraussetzung für das Gelingen von Inklusion ist, zu beschleunigen. Unser Ziel ist ein Niedersachsen, in dem die Inklusion eine Selbstverständlichkeit ist. Dies wird eine große Haltungs- und Verhaltensänderung bedeuten. Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen. Es darf keine versteckten Hemmnisse geben. Dies wollen wir gemeinsam mit den vielen Initiativen im Land auch in den kommenden Jahren erreichen.
Zum zweiten Teil Ihrer Anfrage schreibe ich Folgendes:
DIE LINKE tritt dafür ein, das Beratungsangebot für schwangere Frauen in ihrem quantitativen Angebot und besonders auch in ihrem inhaltlichen Umfang deutlich auszubauen. Wir wollen dabei diese gesellschaftliche Aufgabe gesetzlich verankern. Denn sie ist so dringlich, dass sie keinem Sparhaushalt zum Opfer fallen sollte. Es geht um einen enormen psychischen Druck, der für sehr viele Schwangere erzeugt wird. Dabei stellt sich heute schon fast nicht mehr die ethische Frage, ob eine pränatale Diagnostik individuell befürwortet oder abgelehnt wird. Während früher erst die Entscheidung pro oder contra Fruchtwasseruntersuchung die Frauen mit der Frage einer möglichen Behinderung ihres Kindes konfrontiert hat, bringt heute mitunter bereits die „Qualität“ der Ultraschallaufnahmen diesen Druck mit sich. Sie hören Aussagen ihrer Ärztin / ihres Arztes wie: „das könnte eine ausgeprägte Nackenfalte sein“, „das Kind ist größer, als es jetzt sein sollte“, „das Kind ist unterdurchschnittlich groß“, usw. Wenn dann im Anschluss von weiteren Diagnoseverfahren gesprochen wird, scheint es die fürsorgliche Pflicht der Frauen oder auch der werdenden Eltern zu sein, diese Untersuchungen machen zu lassen. Die persönlichen Entscheidungsfragen werden hierdurch häufig viel zu spät gestellt: will ich es überhaupt vorher wissen, dass mein Kind eine Behinderung hat oder - noch deutlicher - würde ich ein behindertes Kind lieber abtreiben wollen. Untersuchungen haben gezeigt, dass auch Frauen, die später ein völlig gesundes Kind zur Welt gebracht haben, während der Schwangerschaft zum Teil extrem unter Druck gerieten.
Als LINKE wollen wir, dass jede schwangere Frau zunächst eine gute Grundberatung über die Fallstricke bekommt, die mit den stetig wachsenden Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik einhergeht. Es geht uns dabei keineswegs um eine pauschale Ablehnung dieser Diagnostik, sondern darum, den schwangeren Frauen den Druck zu nehmen und sie darin zu stärken, dass nicht die Ärztin oder der Arzt die Entscheidungen treffen, sondern sie selbst. Außerdem sollte die ganze Schwangerschaft über diese Beratung für die Schwangeren niedrigschwellig zugänglich sein.
Mit freundlichen Grüßen
Giesela Brandes-Steggewentz