Frage an Gerd Lippold von Philipp D. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Dr.Gerd Lippold,
Ihre Partei ist u.a. eine Klimaschutzpartei und bezeichnet in Ihrem Landtagswahlprogramm 2019 den Klimawandel als “[…] größte Bedrohung für unsere Zivilisation“.
Eine Fokussierung auf Biomasse sowie Wind- und Solarenergie auf Teilflächen der BRD – wie von Ihrer Partei angestrebt – wird aus meiner Sicht zur Deckung unseres Endenergiebedarfes jedoch längst nicht ausreichen. Dazu im Folgenden ein paar Zahlen, welche sich an die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Beraters des britischen Ministeriums für Energie und Klimawandel, Prof. David J.C. MacKay, anlehnen.
Die im Jahresmittel von einer Windfarm erzielbare Leistungsdichte beträgt ca. 2 MW/km². Photovoltaik-Freiflächenanlagen erzielen eine Leistungsdichte von ca. 5 MW/km². Energiepflanzen erzielen eine Leistungsdichte von 0,5 MW/km² [1] und somit nochmals geringere Flächenenergieerträge. Zum Vergleich: Der Flächenenergiebedarf in der BRD beträgt ca. 0,8 MW/km². Diese Zahlen verdeutlichen, dass wir zur vollständigen Deckung unseres Energiebedarfes einen wesentlichen Teil unserer Landesfläche für WKA, PV-Anlagen und Energiepflanzen aufwenden müssten. Der hohe Flächenbedarf der Erneuerbaren sowie die in der Praxis immer noch fehlenden Speicher in der Größenordnung von TWh sind offensichtlich Ursache dafür, dass die deutsche Energiewende derzeit scheitert. Die deutschen CO2-Emmissionen blieben in den letzten 10 Jahren nahezu konstant, die reale Energieausbeute von Windkraft und PV steigt im Mittel kaum noch an. Gleichzeitig legen wir ab 2022 AKW mit einer jährlichen Energieausbeute von 76 TWh still.
Wäre es im Hinblick auf die genannten Zahlen, das Ziel einer schnellen Dekarbonisierung und aus Sicht des Naturschutzes nicht sinnvoll, über Kernenergie auf sachlicher Ebene und mit Vernunft statt Angst neu zu diskutieren, Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen, wie derzeit im europäischen und außereuropäischen Ausland der Fall?
Vielen Dank und Freundliche Grüße,
Philipp Denner
Sehr geehrter Herr D.,
ihre Rechnung scheint mir für ein stabiles Energiesystem nicht wirklich zielführend. Es ist nicht relevant, was im Jahresmittel erzeugt oder verbraucht wird. Es geht darum, dass zu jeder Sekunde eine stark schwankende Stromnachfrage mit dem Stromangebot zum Ausgleich gebracht wird. Was die erneuerbaren Energien Sonne, Wind, Wasser, Biomasse angeht, so deckt deren Angebot bereits heute in Deutschland zwischen etwa 20 und nahe 100% der momentanen Nachfrage, obwohl sie im Jahresmittel erst bei 40...45% stehen. Was zum Ausgleich zwischen deren Angebot und der Momentan-Nachfrage benötigt wird, sind sowohl gesicherte, sehr flexibel einsetzbare Leistung aus anderen Kraftwerken als auch eine Flexibilisierung der Nachfrage - und zwar beides im europäischen Strommarkt zunehmend europaweit. In einigen Bundesländern ist die 100% Jahresdeckung übrigens bereits erreicht.
Verschiedene Studien kommen übereinstimmend zum Schluss, dass mit etwa 2% der Landesfläche für onshore-Wind (davon wir natürlich nur ein winziger Flächenbruchteil wirklich durch WEA-Fundamente versiegelt) und einer konsequenten Nutzung von Dach- Fassaden- und Konversionsflächen für PV mit Ergänzung durch offshore-Wind die bilanzielle 100% Deckung des jährlichen Stromverbrauchs ganz realistisch ist.
Der heute entscheidende Punkt bei der Diskussion um Sonne und Wind versus Kernkraft ist weder technologisch noch hat er etwas mit Flächen zu tun. Es ist schlicht die Ökonomie. Neue Solar- und Windkraftwerke sind heute unter Vollkostenbetrachtung die mit Abstand günstigsten Optionen für neue Kraftwerke. Und zwar fast überall in der Welt. Und sie werden von Jahr zu Jahr günstiger. Die Kernenergie hat dagegen seit Jahrzehnten eine negative Lernkurve durchlaufen. Jede neue Generation ist deutlich teurer als die Vorgängergeneration, weil man mehr über die Risiken und Folgekosten weiß. Das Betriebsrisiko ist nicht versicherbar. Das Kernmüllproblem ist weltweit nicht zufriedenstellen gelöst. Die neuen Reaktoren etwa in Hinkley Point (Großbritannien) fanden erst dann einen Investor, als man ~12 Cent/kWh Einspeisevergütung mit vollem Inflationsausgleich über 35 (!) Jahre sowie weitere staatliche Bürgschaften und Risikoübernahmen garantiert hat. Das bedeutet dramatisch teureren Strom als aus einer Kombination von neuen Wind-, Solar- und Gaskraftwerken. Für die militärische Nuklearmacht Großbritannien und andere heutige oder Möchte-Gern-Mitglieder im nuklearen Klub mag das Festhalten an der zivilen Kernenergie dennoch aus gewissen Betrachtungen Sinn machen. Für deutsche Stromkunden ist eine neue Generation von Kernkraftwerken jedenfalls längst keine bezahlbare Option mehr, selbst wenn es politisch möglich wäre.
Hinzu kommt: die Kernkraftwerke sind technisch in besonderem Maße als Grundlastkraftwerke ausgelegt. Sie sind - außer der Möglichkeit zur Schnellabschaltung aus Havariegründen - aus Gründen der Materialbelastung, der Lebensdauer und der Steuerung der Kernreaktionen gerade nicht für den Betrieb mit oft und stark schwankender Last ausgelegt.
Das lässt sich leicht an deren täglichen, realen Einspeisungsdaten nachvollziehen. Sie sind im Zuge der Energiewende gerade die ungeeignetsten Kraftwerke, um die oben genannten Erfordernisse der Bereitstellung gesicherter und sehr flexibel abrufbarer Leistung zu erfüllen. Im übrigen: sämtliche Energieversorger, die in Deutschland Kernkraftwerke betreiben, denken nicht ernsthaft auch nur über Laufzeitverlängerungen nach. Das Thema Stromerzeugung durch Kernspaltung ist für diese Unternehmen einfach Geschichte. Es geht um einen geordneten Auslaufbetrieb und eine sichere Beendigung. Was immer Sie aus Ihren Erwägungen für geboten halten: es gibt weder Energieversorger, die dafür zur Verfügung stehen noch jemanden, der so etwa im Wettbewerb mit Energie aus Sonne und Wind finanzieren würde.
Ihre Zahlen zu den Flächenerträgen im Jahresmittel kann ich übrigens auch nicht nachvollziehen. Mit den heute eingesetzten Anlagengenerationen bei PV und Windenergie kommt man auf Flächenerträge, die um ein Mehrfaches höher liegen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Lippold