Frage an Gerald Häfner von Bogdan-Daniel S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Bogdan,

Sie haben völlig Recht: unser Geldsystem ist krank. Geld ist Mittel, nicht Zweck. Seine Aufgabe sollte - wohlverstanden - sein, dem sinnvollen wirtschaftlichen Handeln der Menschen zu dienen. Stattdessen dient immer mehr das wirtschaftliche handeln der Menschen nur noch dem Gelde. Und statt dass wir über das Geld bestimmen, bestimmt es immer mehr über uns! Die Situation an den Weltfinanzmärkten ist das beste Beispiel. Der größte Teil der heute weltweit täglich bewegten Gelder sind rein spekulativer Natur. Wir brauchen deshalb dringend eine Reform im Bereich unserer Geldsysteme und insbesondere der Finanzmärkte.

Es ist für mich völlig unverständlich, dass z.B. im Straßenverkehr extrem detaillierte Regeln gelten und jedes Fahrzeug regelmäßig eine umfassende Untersuchung durchlaufen muss, während umgekehrt in Bezug auf die Weltfinanzmärkte - wo letztlich weit größerer Schaden entstehen kann - noch immer nach dem Prinzip gehandelt wird, dass präzise Vorgaben nur die Freiheit der Akteure beschränken würden. Ein faires, den Menschen dienendes ökologisch und sozial verantwortliches Finanzsystem kann sich nur innerhalb kluger und vor allem wirkungsvoller rechtlicher Rahmenbedingungen entwickeln. Ohne diese entstehen ökologisch, sozial und ökonomisch äußerst fatale Wucherungen und Fehlsteuerungen, für die am Ende - wie auch zuletzt - nicht die beteiligten Spekulanten, sondern die Gesellschaft insgesamt (und das heißt besonders ihre schwächsten Glieder!) die Zeche zahlen.
Regelungsvorschläge im Bereich des Geld- und Finanzsystems gibt es viele. Silvio Gesell und seine Schüler gehören dazu. Selbstverständlich kenne ich deren Gedanken gut. Sie sind aber nicht die einzige Quelle, die ich in diesem Bereich für interessant erachte und insoweit meine eignen Vorstellungen über solche Regelungen zu Grunde lege.
Auch Ihren Hinweis auf den Koran halte ich für interessant. Tatsächlich kannten ursprünglich alle großen Religionen - nicht nur der Islam - ein Zinsverbot. Eine Lösung des Problems verlangt heute umfassendere und komplexere Antworten als Silvio Gesell sie vor vielen Jahrzehnten auf die damals für ihn virulenten Fragen geben konnte. Insofern würde ich Ihre abschließende Frage, ob man nicht "Silvio Gesells Ökonomie" heute in Europa einführen könnte, in dieser Form verneinen, wenn damit eine eins zu eins Umsetzung des seinerzeit von Gesell vorgeschlagenen Systems gemeint ist.
Gleichzeitig könnten jedoch die von Gesell erarbeiteten Analysen und Vorschläge mit einen Beitrag leisten, wenn es darum geht, ein Geld- und Währungssystem auf der Höhe der Zeit zu entwickeln.

Mit freundlichen Grüßen,

Gerald Häfner