Frage an Gabriele Fograscher von Lorenz K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Fograscher,
bezüglich des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung möchte ich Sie fragen, wie Sie zu Ihrer Entscheidung für eine Speicherung der Verkehrsdaten gelangt sind, wo doch beispielsweise ein entsprechendes Gutachten des Max-Planck-Instituts hier kaum Bedarf sieht.
Ebenso wird Ihnen bekannt sein, dass derzeit eine Klage gegen die entsprechende EU-Richtlinie beim EuGH anhängig ist, womit ein direkter Handlungsbedarf seitens Deutschlands meiner Meinung nach nicht gegeben gewesen wäre, sondern man hier die Entscheidung des EuGH hätte abwarten können.
Zudem wüsste ich gerne, ob Ihnen nicht mittlerweile auch folgende Zeilen aus dem Jahre 1844 ein wenig zu denken geben:
Im traurigen Monat November war´s,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
[...]
Während die Kleine von Himmelslust
Getrillert und musizieret,
Ward von den preußischen Douaniers
Mein Koffer visitieret.
Beschnüffelten alles, kramten herum
In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
Auch nach verbotenen Büchern.
[...]
[Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1148&kapitel=1#gb_found
Heinrich Heine, Deutschland ein Wintermärchen, 1844]
Persönlich fühle ich mich durch die von der Regierungskoalition forcierte Gesetzgebung nicht unbedingt sicherer, sondern fühle mich eher so, als ob das eigentliche Ziel bei weitem verfehlt wird. Frei nach folgender Sentence, die Benjamin Franklin zugeschrieben wird:
"Es nützt der Freiheit nichts, dass wir sie abschaffen, um sie zu schützen."
Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Ihre Beweggründe für eine Entscheidung pro Vorratsdatenspeicherung kurz darlegen könnten.
Mit freundlichen Grüßen,
Lorenz Kolb
Sehr geehrter Herr Kolb,
herzlichen Dank für Ihre Frage zur sog. Vorratsdatenspeicherung.
In einer Demokratie gilt es immer die Balance zwischen den persönlichen Freiheitsrechten und den Sicherheistbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger zu halten.
Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Innenpolitikerin ergibt sich für mich daraus, die richtige Mischung aus Freiheitsrechten und den Wunsch nach Sicherheit zu finden.
Wir haben Anfang diesen Monats über das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung entschieden.
Das Gesetz
• novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
• setzt die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
• und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.
Wir haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen. Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein muß. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.
Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.
Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.
Hürde 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes: Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtlichen Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden. Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen.
Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung
Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.
Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden
Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.
Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.
Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.
Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.
Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.
Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind:
• Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
• Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
• Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Fograscher, MdB