Frage an Gabriele Bischoff von Martin D. bezüglich Digitale Agenda
Sehr geehrte Frau Bischoff,
das Versagen der ermittelnden Behörden in Österreich wird derzeit als Vorwand genommen um alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen und eine Infrastruktur zu installieren, die es Behörden ermöglicht private Kommunikation unter unbescholtenen Bürgern mitzulesen/abzuhören. [1]
Wie wollen Sie, bzw. Ihre Partei, gegen diesen unverhältnismäßigen Überwachungswahn vorgehen um die Rechte ihrer Bürger und Wähler vor einer Überwachung orwellschem Ausmaßes zu schützen?
Mit freundlichen Grüßen,
M. D.
[1] https://fm4.orf.at/stories/3008930/
Disclaimer: Ich habe diese Frage auch anderen Politikern gestellt.
Sehr geehrter Herr D.,
vielen Dank für Ihre Zuschrift. Der jüngste terroristische Anschlag in Wien hat die gesamte EU erschüttert. Einige EU-Innenminister*innen haben aufgrund der entsetzlichen Geschehnisse reflexartig mehr Überwachung zur Terrorismusbekämpfung gefordert. Es kam unter anderen der Vorschlag auf, Verschlüsselungstechnologien aufzubrechen.
Dabei ist zu betonen, dass es sich bei diesem Vorschlag lediglich um einen Entwurf für Ratsschlussfolgerungen der EU-Innenminister*innen handelt und nicht um einen Gesetzesentwurf zum Aufbrechen von Verschlüsselung. Ratsschlussfolgerungen sind keine Gesetze, sondern politische Absichtserklärungen des Rats, die keine rechtlichen Folgen mitsichbringen. Der Entwurf für Ratsschlussfolgerungen über Verschlüsselungstechnologien soll am 3. und 4. Dezember 2020 bei der Tagung der EU-Innenminister*innen angenommen werden.
Der Rat hat als Vertretung der Mitgliedstaaten allerdings keine Möglichkeiten alleine und in irgendeinem angeblichen „Schnellverfahren“ Verschlüsselungstechnologien zu verbieten.
Ein etwaiger Vorschlag für einen Gesetzesentwurf zum Aufbrechen der Verschlüsselung müsste von der EU-Kommission vorgelegt werden, die als einzige EU-Institution das Initiativrecht für EU-Rechtstexte innehat. Wenn ein solcher Kommissionsvorschlag vorgelegt werden würde, müsste dieser zudem das reguläre EU-Gesetzgebungsprozedere durchlaufen. Das bedeutet: Der Rat, als Vertretung der Mitgliedstaaten, und das EU-Parlament, als Vertretung der EU-Bürger*innen, würden den Vorschlag gemeinsam verhandeln.
Sie können sich darauf verlassen, dass ich mich in meiner Arbeit im Europäischen Parlament weiterhin mit ganzer Kraft dafür einsetzen werde, dass die Privatsphäre der Europäer*innen auch im digitalen Raum geschützt wird. Da das Aufbrechen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung selbst Sicherheitslücken schafft, die wiederum von Hackerinnen und Hackern ausgenutzt werden könnten, lehne ich das Einbauen von “Hintertüren” oder andere Verwässerungen der Verschlüsselungstechnologie ab.
Anstatt über einen künftig möglichen Gesetzesentwurf zu streiten, sollten wir aktuell zudem lieber unsere Aufmerksamkeit auf die Debatte über das mögliche Versagen der eigenen Sicherheitsbehörden lenken. Gut funktionierende Sicherheitsbehörden sind einer der bedeutendsten Faktoren für die Bekämpfung von Terror.
Daher brauchen wir nun zunächst eine tiefgreifende Analyse, welche Versäumnisse es etwa bei den österreichischen Sicherheitsbehörden im Vorfeld des Anschlags in Wien gegeben hat und im Anschluss daran, eine sachliche Debatte, wie man diese beheben kann.
Mit freundlichen Grüßen
Gaby Bischoff