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Gabriele Bischoff
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Frage von Tim G. •

Frage an Gabriele Bischoff von Tim G. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrte Frau Bischoff,
Sie gehören zu den Erstunterzeichnern einer Petition, die sich unter anderem gegen Maßnahmen der Ungarischen Regierung bzw. gegen Beschlüsse des ungarischen Parlaments über Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus richtet (https://www.change.org/p/european-commission-verteidigt-unsere-demokratie-in-der-corona-krise).
Dazu hätte ich einige Fragen an Sie:
Warum ist die Petition in vielen Sprache, darunter Finnisch und Griechisch, verfügbar, aber nicht in Ungarisch und Polnisch, obwohl ja die eigentlichen Betroffenen von den kritisierten Maßnahmen zuförderst Ungarn und Polen sind?
Wie sollen die Betroffenen, zum Beispiel durch die befürchtete Einführung einer Diktatur durch ihren Ministerpräsidenten bedrohten Ungarn die Petition mitzeichnen, wenn sie in ihrer Sprache nichtz verfügbar ist? Legen die Initiatoren keinen Wert auf Unterzeichner aus Ungarn?
In der Petition heißt es wörtlich:
"Aktivist*innen der Zivilgesellschaft haben die oben genannten Maßnahmen heftig kritisiert, da sie zu autoritären politischen Systemen führen würden. In Ungarn wird ernsthaft befürchtet, dass Viktor Orbán versucht, das Land in eine Diktatur zu verwandeln."
Können Sie konkrete Quellen nennen, wer wann und zu welcher Gelegenheit solche Befürchtungen geäußert hat?
Was halten Sie von den Erläuterungen der Ungarischen Justizministerin Julia Varga zu den Vorgängen, auf Deutsch zu lesen auf der Webseite der ungarischen Botschaft in Berlin (https://berlin.mfa.gov.hu/asset/view/120532/VJ0324.pdf)?
Halten Sie die Erläuterungen für schlüssig und wenn nicht, was genau ist daran aus Ihrer Sicht falsch oder unzutreffend?
Vielen Dank schon jetzt für Ihren Beitrag zum besseren Verständnis des Vorgangs.
Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Gerber,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Gerne gehe ich auf Ihre drei Fragen ein.

Zunächst einmal ist jede eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Werte von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Ungarn, Polen und jedem anderen Mitgliedsstaat der EU gemäß Art. 2 und Art. 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) eine Gemeinschaftsfrage. Das liegt daran, dass es sich um Grundwerte der EU handelt, die für alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen gelten. Daher begrüße ich es, dass sich Personen und Organisationen aus der ganzen EU für die Situation dort interessieren. Bitte wenden Sie sich hinsichtlich der sprachlichen Verfügbarkeit der Petition direkt an ihre Initiatoren.

Weiterhin war das Europäische Parlament auch vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie tief besorgt über den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in beiden Ländern. Zuletzt in seiner Entschließung vom 16. Januar 2020, wo sie auch Verweise auf vorherige Entschließungen des Parlaments finden. https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2020-0014_DE.pdf

Für die Bewertung, dass Ungarn sich gegenwärtig in eine Diktatur umwandelt ist entscheidend, dass die Regierung unter Viktor Orbán einen unbefristeten Ausnahmezustand ohne parlamentarische Kontrolle eingeführt hat. Dies ermächtigt seine Regierung per Verordnung und ohne Parlament auf unbegrenzte Zeit zu regieren.

Dabei ist mir bewusst, dass alle EU-Mitgliedsstaaten bestimmte Bürgerrechte unterschiedlich stark eingeschränkt haben, um die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie einzudämmen. Etwas anderes ist jedoch, die unbefristete Aussetzung des Parlaments. Dies stellt eine gravierende Verletzung der europäischen Verträge, der Charta der Grundrechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.

Daran ändern die Rechtfertigungsversuche der ungarischen Justizministerin Julia Varga nichts. Ihr wesentliches Argument für die Erforderlichkeit einer faktischen Entmachtung des Parlaments zu Gunsten einer Notstands-Regierung ist, dass das Parlament ohnehin arbeitsunfähig wäre, wenn die Abgeordneten erkranken würden. Doch sowohl das Europäische Parlament, als auch eine Vielzahl lokaler, regionaler und nationaler Parlamente haben Wege gefunden, ihre Arbeit fortzusetzen. Dies wäre auch dem ungarischen Parlament möglich gewesen. Somit stand eine geeignete Maßnahme zur Verfügung, die eine Aussetzung der Gewaltenteilung und damit der Demokratie nicht erforderlich gemacht hat.

Weiterhin argumentiert sie, dass die Notstandsverordnung nicht auf unbegrenzte Zeit, sondern auf nur für die Zeit der Krise begrenzt sei. Gleichzeitig gesteht sie, dass das Ende der COVID-19-Pandemie nicht in Sicht sei. Damit widerspricht sie sich selber. Eine Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden über die Maßnahmen der Regierung kann die Arbeit eines demokratisch gewählten Parlaments nicht ersetzen. Weiterhin erinnere ich daran, dass Demokratie eben nicht die Diktatur der Mehrheit bedeutet, sondern auch den Schutz der Minderheit in der Opposition umfasst. Dies spielt für die ungarische Justizministerin jedoch offensichtlich keine Rolle.

Schließlich stellt sie die Regierung Victor Orbán's als "Opfer" der 'linksliberaler Medien und Politiker" dar. Dabei ignoriert sie, dass es selbst innerhalb der konservativen EVP-Fraktion Bestrebungen gibt, die Fidez-Partei wegen ihrer Notstandsgesetzgebung auszuschließen. Daher überzeugen weder die verfassungsrechtliche, noch die politische Rechtfertigung der ungarischen Regierung.

Als Vizepräsidentin des Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) ist es für mich inakzeptabel, dass ein Mitgliedstaat die grundlegenden Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aussetzen will. Daher werde ich mich dafür einsetzen, dass die EU-Kommission jetzt Maßnahmen einleitet, um die Regierung in Budapest zur Wiederherstellung einer demokratischen Grundordnung zu bewegen.

Gern stehe ich Ihnen für Rückfragen zur Verfügung und wünsche Ihnen viel Gesundheit und frohe Feiertage!

Mit besten Grüßen
Gaby Bischoff

 

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