Frage an Fritz Felgentreu von Ottmar M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Guten Tag Herr Felgentreu,
SPD-Außenminister Maas sprach in seiner Antrittsrede von einer „Aggression Russlands in der Ukraine“ (s. u.a. Süddeutsche 26.05.18)
Was für eine russische Aggression soll es denn in der Ukraine geben? Handelt es sich bei den militärischen Handlungen gegen die sog. „prorussischen Separatisten“ der ukrainischen Kräfte nicht um eine Antiterroroperation der Ukraine? Wie ist denn diese „russische Aggression“ zu definieren? Haben russische Truppen die Ukraine angegriffen oder verteidigt sich nicht die russische Bevölkerung in den Oblasten Donezk und Lugansk gegen ukrainische Truppen und diverse Freibataillone? Wenn russische Truppen angegriffen haben sollen, welche ernstzunehmenden Belege gibt es denn dafür? Falls mit der Aggression die Krim gemeint sein sollte, gab es hier nicht lediglich unter dem Schutz russischer Truppen im März 2014 ein Referendum, in dem sich die Bürger für den Anschluss an Russland entschieden haben? Und weshalb wird immer von der „Annexion der Krim“ gesprochen? Hat Russland nicht genau das getan, was der damalige Außenminister Steinmeier auf der Münchener Sicherheitskonferenz forderte, „nämlich eher, beherzter und konsequenter in bestehende Konflikte einzugreifen“? Auf der Krim kam es zu keinem Krieg wie im Donbass, also ist dieser Konflikt doch friedlich gelöst worden, auch wenn es nicht den westlichen Vorstellungen entspricht? Wenn ich das Abkommen von Minsk II lese, so frage ich mich, warum Russland sanktioniert wird. Hat das Kiewer Regime Minsk II umgesetzt, also insbesondere auch die Autonomieregelungen verabschiedet? Wenn nicht, warum unternehmen die EU oder auch die Bundesregierung nichts, damit Kiew seine Verpflichtungen erfüllt? Weshalb wird Russland überhaupt wegen Minsk II sanktioniert? Russland steht doch im Abkommen nur als Garantiemacht, aber hat doch gar nichts zu erfüllen?
Sehr geehrter Herr Müller,
ich tue mich schwer damit, Ihren umfangreichen Fragenkatalog zu beantworten. Zum einen, da Sie die Antworten auf all Ihre Fragen offensichtlich schon selbst zu kennen scheinen, zumindest legt das die suggestive Natur Ihrer Fragen nahe. Zum anderen, da Sie die Russische Föderation offensichtlich von jeglicher Verantwortung an dem bewaffneten Konflikt in der Ost-Ukraine freisprechen wollen. Sicherlich haben EU und NATO im Vorhinein ebenfalls Fehler gemacht. Sie haben den russischen Unmut über ein EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen nicht rechtzeitig ernst genug genommen. Aber wer wiederum mit militärischer Gewalt Grenzen verändert und Einflussgebiete definiert, wie es Russland getan hat, der trägt letztlich die Hauptverantwortung dafür, dass die partnerschaftliche Friedensordnung für Europa massiv gefährdet ist.
Auch ist mir natürlich das Narrativ geläufig, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sei keine „Annexion“, sondern vielmehr Ausdruck einer freien Willensäußerung und des äußeren Selbstbestimmungsrechts der Krim-Bevölkerung im Sinne einer „Sezession“. Ich höre dieser Deutung der Ereignisse immer wieder, vor allem bei Gesprächen mit russischen Regierungsvertretern. Doch allein die ständige Wiederholung dieses Narrativs macht es nicht wahrer. Schon die Umstände, unter denen das Referendum vom 16. März 2014 zustande gekommen ist und durchgeführt wurde, lassen diese Deutung nicht zu. Es lohnt sich der Blick auf die Art und Weise, in der das Parlament der Autonomen Republik Krim damals den Beschluss fasste, ein Referendum über den Anschluss an die Russische Föderation abzuhalten. Präsident Putin hat unlängst selbst eingeräumt, dass die selbsternannten „Selbstverteidigungskräfte“ auf der Krim von russischen Soldaten aktiv unterstützt wurden. Ich kann auch nicht nachvollziehen, inwiefern militärische Einheiten ohne Verbandsabzeichen, die mit Waffengewalt die Abstimmungsverhältnisse in einem Parlament umkehren, den Willen einer Bevölkerung „schützt“, welches dieses Parlament gewählt hat. Dass die russische Führung damit unter anderem gegen das in der UN-Charta verbriefte allgemeine Gewaltverbot verstoßen hat, halte ich für erwiesen. Dann von einer „Aggression Russlands in der Ukraine“ zu sprechen, wie es Außenminister Maas getan, ist mehr als verständlich.
In Ihrem Fragenkatalog beziehen Sie sich zudem auf die Aussagen des ehemaligen Außenministers, jetzigen Bundespräsidenten und meines Parteigenossen Frank-Walter Steinmeier. Es sei einmal dahingestellt, dass er die Worte, die Sie zitieren, so nicht in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz verwendet hat – seine Worte waren „sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen“. Mir ist viel wichtiger, dass seine Worte nicht aus dem Kontext gerissen verstanden werden. Der damalige Außenminister spricht hier von Deutschlands Rolle als ein wichtiger Impulsgeber für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik. Er beschreibt eine europäische Politik, die die territoriale Integrität souveräner Staaten anerkennt und sich an das internationale Völkerrecht gebunden fühlt. Ihm ging es also darum, dass Deutschland dazu bereit sein muss, dieses Völkerrecht auch in letzter Konsequenz zu vertreten und dass unsere Partner in EU und NATO dies auch so von uns erwarten.
Mir bleibt weiterhin schleierhaft, welche völkerrechtliche Legitimation es für Russlands militärische Intervention auf der Krim gegeben haben soll.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Fritz Felgentreu