Frage an Fritz Felgentreu von Christoph K. bezüglich Verkehr
Hallo Herr Felgentreu,
wie werden Sie bei folgendem Thema morgen abstimmen?
Eine "zeitnahe" Antwort wird Ihnen heute und morgen eine Vielzahl von Anrufen aus Ihrem Wahlkreis ersparen...
Herzlichst,
Christoph Kurz
Hallo Herr Kurz,
vielen Dank für Ihre Nachfrage zu meinem Abstimmungsverhalten anlässlich der Neuregelungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und damit einhergehend der geplanten Bundesautobahngesellschaft. Gerne möchte ich alle Interessierten transparent über meine Entscheidungsfindung informieren.
Die Pläne über eine Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und die damit verbundenen Grundgesetzänderungen haben nicht nur innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion zahlreiche strittige Auseinandersetzungen mit sich gebracht. Ferner haben auch der Aufruf von „change.org“ sowie ein Artikel der Berliner Zeitung vom 26. Mai für kontroverse Reaktionen und viele kritische Zuschriften an mich gesorgt. Mir ist also bewusst, wie immens wichtig das Thema „Privatisierung“ bzw. deren Abwehr für Bürgerinnen und Bürger ist.
Zunächst möchte ich festhalten, dass sich meine eigene Begeisterung über die Gründung einer Bundesinfrastrukturgesellschaft Verkehr – salopp gesagt – sehr in Grenzen hält. Mir selbst wäre es lieber gewesen, hätten wir eine solche zentralisierte Planungs- und Verwaltungskonstruktion nicht angefasst. Es ist an dieser Stelle aber auch angebracht darauf hinzuweisen, dass der Ausgangspunkt des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens eine Einigung zwischen der Bundesregierung und allen sechzehn Landesregierungen im Oktober und Dezember 2016 über ein Maßnahmenpaket war, das im Kern die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs ab dem Jahr 2020 beinhalten sollte. Hierbei waren sowohl Änderungen des Grundgesetzes als auch einfachgesetzliche Regelungen vorgesehen.
Teil dieses Maßnahmenpakets war zudem eine Lockerung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich, die es dem Bund ermöglicht, Geld für Bildungsinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen zur Verfügung zu stellen, sowie die Neuregelung bzw. deutliche Verbesserung des Unterhaltsvorschusses – beide Elemente waren meiner Meinung nach längst überfällig; für beide habe ich mich daher im Familienausschuss auch immer wieder eingesetzt. Ein weiterer, der nun umstrittenste Teil des Paketes: die Neuordnung von Verwaltung und Bau der Autobahnen und sonstigen Bundesfernstraßen in Deutschland über die Gründung und Aktivierung einer „Bundesinfrastrukturgesellschaft Verkehr“. Das nun heute im Bundestag zur Abstimmung gebrachte Gesetzespaket umfasst also zahlreiche Verhandlungs- und Teilergebnisse, sowohl zwischen Bundesregierung und Landesregierungen als auch zwischen den beteiligten Ministerien (Verkehr und Finanzen) und Fachausschüssen im Bundestag sowie zwischen den Fraktionsspitzen von Union und SPD.
Für mich persönlich war es wichtig, dass eine Privatisierung der Autobahnen „durch die Hintertür“ rechtssicher ausgeschlossen und zugleich eine sachgerechte, starke Kontrolle durch das Parlament und den Bundesrechnungshof festgeschrieben wird. Im laufenden Gesetzgebungsverfahren hat die SPD-Bundestagfraktion diesbezüglich, insbesondere durch die unermüdliche Arbeit meiner Kollegin und zuständigen Berichterstatterin Bettina Hagedorn, gegenüber der Union beachtenswerte Verhandlungsergebnisse erzielt: Die Bundesgesellschaft wird jetzt zu 100 Prozent staatlich über den Bundeshaushalt finanziert, kann keine Kredite aufnehmen – auch ihre möglichen regionalen Tochtergesellschaften nicht – und weder mittelbar noch unmittelbar Beteiligungen von Privaten erlauben.
Mit Blick auf das Gesetzespaket spielen viele auf ein unzureichendes Verbot von „Öffentlich-Privaten Partnerschaften“, das wiederum einer weiteren Privatisierung von Autobahnen Vorschub leisten würde, an. Dass man das Instrument von ÖPP bei Infrastrukturmaßnahmen kritisch hinterfragen sollte, kann ich absolut nachvollziehen. Auch ich halte ÖPP-Projekte in den meisten Fällen für ungeeignet, da sie oft nicht kostengünstiger, sondern – wenn überhaupt – nur zeitsparender sind. Bereits jetzt werden aber von Bundesverkehrsminister Dobrindt zahlreiche Teilstreckensanierungen – und -modernisierungen über ÖPP-Projekte abgewickelt, ohne dass es dabei grundgesetzliche Einschränkungen gäbe. Diese schreibt das aktuelle Gesetzespaket nun fest, weshalb der Bundesrechnungshof in seinem Bericht vom 24. Mai an den Haushaltsausschuss auch festhält:
„Der Änderungsantrag [der Regierungskoalitionen] berücksichtigt in weiten Teilen die Anregungen des Bundesrechnungshofes zur Organisation der Infrastrukturgesellschaft. Danach muss das Parlament einem möglichen Rechtsformwechsel der Infrastrukturgesellschaft zustimmen. Darüber hinaus ist jegliche Privatisierung der Bundesautobahnen ausgeschlossen. […] „Mit den im Änderungsantrag vorgesehenen Regelungen wird eine Teilnetz-Privatisierung ausgeschlossen.“
Auch wenn Einzelprojekt-ÖPPs also weiterhin formal „erlaubt“ sind, werden sie durch den Aufbau und die Inbetriebnahme einer effizient arbeitenden Bundesgesellschaft deutlich seltener, da die bestehenden Fehlanreize innerhalb der Auftragsverwaltung pro ÖPP aufgehoben werden. Kurzum: ÖPP-Projekte werden vor dem Hintergrund einer handlungsfähigen Autobahninfrastrukturgesellschaft, wie sie nun geplant ist, betriebswirtschaftlich unattraktiv und somit immer unwahrscheinlicher. Auch der Blick zu unseren österreichischen Nachbarn und deren Autobahngesellschaft ASFINAG kann das bestätigen.
Immer wieder hat mich auch die Forderung erreicht, man solle folgenden Satz in den Artikel 90 GG mitübernehmen:
„Die Bundesrepublik Deutschland haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft“.
Diese Formulierung wäre vor allem dann notwendig gewesen, hätte sich die Bundesgesellschaft – so wie es Teile der Union im Haushaltsausschuss vor kurzem noch gefordert hatten – ohne parlamentarische Kontrolle unbeschränkt am Markt verschulden dürfen. Allerdings haben wir in den Verhandlungen mit der Union genau diese Verschuldung nun ausgeschlossen. Die Gesellschaft hat also keine „Verbindlichkeiten“ mehr und wird auch keine haben dürfen, da sie und ihre möglichen regionalen Tochtergesellschaften zu 100 Prozent dem Bund zuzurechnen sind. Der Bundesgesellschaft nun über die oben genannte Formulierung indirekt wieder die Aufnahme von „Verbindlichkeiten“ einzuräumen, wäre meines Erachtens widersinnig.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat bei diesem Gesetzespaket zahlreiche unterschiedliche Stimmen gehört, insbesondere auch die der beteiligten Gewerkschaften und Personalräte, um die 11.000 Beschäftigten der Straßenbauverwaltungen der Länder nicht aus den Augen zu verlieren. Wir haben die sorgfältige Überprüfung der Gesetzesvorlage durch den Bundesrechnungshof abgewartet und uns nicht von den Landesregierungen zu einer voreiligen Abstimmung am 31. März drängen lassen.
Natürlich haben mich auch die positive Stellungnahme der zuständigen DGB-Gewerkschaft ver.di und die Empfehlung der Berliner Senatskanzlei bzw. des Regierenden Bürgermeisters, den nun verhandelten Grundgesetzänderungen zuzustimmen, in meiner Entscheidungsfindung als Berliner Bundestagsabgeordneter beeinflusst. In der Gesamtbetrachtung habe ich mich daher dafür entschieden, in der Abstimmung über das Gesamtpaket am heutigen Tage mit „ja“ zu stimmen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Fritz Felgentreu