Frage an Fritz Felgentreu von Helge R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr Felgentreu,
Sie schreiben: " Es ist ein Kennzeichen der parlamentarischen Demokratie, dass man Koalitionen bilden muss, um Mehrheiten zu gewinnen." Das ist richtig. Ich hielt es aber auch für ein Kennzeichen der Demokratie, dass es Abstimmungen gibt, in denen Mehrheiten richtungsweisend sind. Wenn das Ergebnis der Abstimmungen bereits durch Absprachen vorgegeben wurde, wozu brauchen wir dann noch soviele Abgeordnete, die zwar nur ihrem Gewissen verpflichet sein sollten, aber tatsächlich ausschliesslich den Absprachen verpflichtet zu sein scheinen, die sie selbst nicht getroffen haben? Wozu brauchen wir konkret Sie als Abgeordneten, wenn Sie doch gar nicht (dem Wähler und ihrem Gewissen) abgeordnet sind? Wozu müssen Sie fraktionskonform oder koalitionskonform abstimmen, wenn die Mehrheit doch auch dann den "Absprachen" entsprechen würde, wenn jeder nach seinem Gewissen abstimmt? (Oder gäbe es dann etwa ein anderes Ergebnis?) Mir entsteht das Gefühl von Geschachere um Positionen, die ohne Fraktionszwang gar nicht durchsetzbar wären.
"Nur muss ich in Abstimmungsfragen der Koalition Rechnung tragen und mich vertragstreu verhalten."
Wenn ihr Abstimmungsverhalten dergestalt fremdbestimmt ist, finde ich, dass Sie bei Abstimmungem im Grunde überflüssig sind. Dann können das "die grossen Jungs & Mädels" gleich unter sich ausmachen. Das betrifft nicht nur Sie, ich bitte das also nicht persönlich zu nehmen, das ist ein Umstand, der in der Tat schwer vermittelbar ist, und den Abgeordneten für den Wähler so austauschbar macht wie eine normierte Schraube.
Sehr geehrter Herr Ramdohr,
danke für Ihre Reaktion. Inhaltlich kommen wir hier aber wohl nicht weiter. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass auch die Frage, ob ich mich vertragstreu verhalte, selbstverständlich eine Gewissensfrage ist. Der Vertrag ist Grundlage der Regierungsfähigkeit. Die Regierungsfähigkeit ist die Voraussetzung dafür, etwas im Sinne meiner Wählerinnen und Wähler zu bewegen. Deshalb ist Vertragstreue ein hohes Gut, aber natürlich nicht das einzige hohe Gut. So gesehen verlangt jede Abstimmung, bei der ich nicht ohnehin zu 100% die Koalitionslinie teile, von mir und allen anderen Abgeordneten auch eine Abwägung zwischen zwei Gewissensgütern.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Felgentreu