Frage an Fritz Felgentreu von Jens U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Felgentreu,
mit erstaunen lese ich in Ihren Antworten wiederholt "da sich im Koalitionsvertrag die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt haben" Wobei Sie im folgendem Satz immer sagen,das Ihr jeweiliges Abstimmungsverhalten nicht Ihren Standpunkt darstellt. Meine Frage also, sollten Sie nicht dem Wähler verpflichtet und nur Ihrem Gewissen unterworfen sein? Und vielleicht,zu Abwechslung, mal entsprechend Ihres Standpunktes abstimmen? Die meisten Menschen die ich kenne jedenfalls vertreten Ihre Standpunkte,und nicht nach belieben die anderer,oder in Ihrem Fall die der CDU. Schließlich ist es ja nahe an einer Täuschung mit Ihren Standpunkten in Wahlkämpfe zu ziehen um dann regelmäßig ein genau gegenteiliges Abstimmungsverhalten an den Tag zu legen.
Mit freundlichen Grüßen,
Jens Uffelmann
Sehr geehrter Herr Uffelmann,
Sie sprechen mit dem Abstimmungsverhalten in einer Regierungskoalition ein Thema an, das für viele Bürgerinnen und Bürger immer wieder schwer verständlich ist. Daher bedanke ich mich für Ihre Anfrage. Ich versichere Ihnen, dass es auch für mich keine große Freude ist, für Vorhaben zu stimmen, von denen ich nicht zu 100% überzeugt bin. An vorderster Stelle möchte ich hier zum Beispiel das Betreuungsgeld nennen, da es insbesondere Kinder aus bildungsfernen Schichten und aus Familien mit Migrationshintergrund von der frühkindlichen Bildung fernhält.
Aber eine Demokratie lebt vom Kompromiss. Es ist ein Kennzeichen der parlamentarischen Demokratie, dass man Koalitionen bilden muss, um Mehrheiten zu gewinnen. Nur so können geplante Gesetzesvorhaben umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen in Koalitionen unliebsame Kompromisse eingegangen und teilweise auch eigene Vorhaben zurückgestellt werden – wie zum Beispiel die Bürgerversicherung.
Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt, da dies das Funktionieren und die Stabilität der Koalition garantiert. So müssen auch Abgeordnete der CDU/CSU für zentrale Vorhaben der SPD stimmen, wie etwa den Mindestlohn, die Rente mit 63 oder die Mietpreisbremse.
Es ist dabei keinem geholfen, wenn ich entgegen der Absprachen abstimme. Dies dient nur der eigenen Profilierung. Für meine Standpunkte werbe ich vor Abstimmungen permanent – in der Fraktion und im Austausch mit dem Koalitionspartner.
Zurückweisen möchte ich, dass mein Abstimmungsverhalten der Täuschung nahe kommt. Denn da die SPD in der letzten Bundestagswahl leider nicht stärkste Kraft geworden ist, können wir unser Wahlprogramm nicht 1 : 1 durchsetzen. Meine Standpunkte haben sich nach der Wahl nicht geändert und ich werde in meiner parlamentarischen Arbeit auch weiter für diese kämpfen. Nur muss ich in Abstimmungsfragen der Koalition Rechnung tragen und mich vertragstreu verhalten.
Dem eigenen Wahlprogramm 1 : 1 treu bleiben kann in Deutschland nur, wer nicht Teil einer Regierungskoalition ist – also z.B. die Hamburger SPD, die mit absoluter Mehrheit regiert, oder die Opposition – die allerdings dafür auch nichts gestaltet. Ich finde: Es ist richtig, dass die SPD trotz ihres schwachen Wahlergebnisses Regierungsverantwortung übernommen hat. So haben wir z.B. den Mindestlohn, die Mietpreisbremse und die Abschaffung der Optionspflicht durchgesetzt – zum Wohle vieler Menschen. In anderen Punkten müssen wir Abstriche machen. Ich tue das ohne inhaltliche Zustimmung, aber mit gutem Gewissen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Fritz Felgentreu