Frage an Fritz Felgentreu von Keshia F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Felgentreu,
Meine Frage an Sie bezieht sich auf rassistisch motivierte Diskriminierung und wie Sie und Ihre Partei das Thema betrachten:
Neukölln gilt als "Multi-Kulti-Bezirk". Verschiedenste Menschen mit unterschiedlichstem Background leben eng beieinander und miteinander. Darauf bin ich als Neuköllnerin sehr stolz. Dennoch: Obgleich man annehmen könnte, und viele tun dies, dass es in einem so diversen Raum wie Neukölln keinen Rassismus gibt, behaupte ich das Gegenteil. Ich behaupte, dass der Rassismus, der unter Menschen mit Migrationshintergrund existiert in Deutschland absolut vernachlässigt wird und aus einer absolut ignoranten Haltung heraus angenommen wird, dass Menschen mit Migrationshintergrund irgendwo ja alle "Ausländer" sind und somit keinen Rassismus gegenüber anderen "Ausländern" empfinden. Schlimmer noch, Rassismus scheint in Deutschland ein in Stein gemeißeltes Konzept zu sein, dass sich nicht nach dem Empfinden der Betroffenen richtet, sondern nach der im Gesetz stehenden Definition. Mich würde an dieser Stelle interessieren, Herr Dr. Felgentreu:
- Werden Sie eine umfassende Definition von rassistischem Vorfall einführen, nach dem jener Vorfall als rassistisch gilt, wenn er als solcher von Betroffenen und Dritten wahrgenommen wird?
- Wie wollen Sie und Ihre Partei in Neukölln gegen Racial Profiling, ausgehend von der Polizei, vorgehen?
- Wie wollen Sie sicherstellen, dass institutionalisierter Rassismus abgebaut wird und was halten Sie von einer beratenden Anlaufstelle für Menschen, die rassistische Diskriminierung erfuhren oder gegenwärtig erfahren?
- Erkennen Sie Schwarze Menschen als in besonderer Weise vom Rassismus betroffene Gruppe an?
Ich freue mich auf Ihre Antworten!
Sehr geehrte Frau Fredua-Mensah,
vielen Dank für Ihre Frage. Es ist (im Sinne der Themen, die Sie bewegen) geradezu eine Form von positiver Diskriminierung, dass der Rassismus unter Menschen mit Migrationshintergrund bzw. gegen Menschen mit dem Hintergrund der Mehrheitsgesellschaft so wenig beachtet wird. Dabei erleben wir im Neuköllner Alltag, dass Menschen aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen aus rassistischen Motiven übereinander herziehen oder dass an Brennpunktschulen spezifische Schimpfwörter gegen Kinder und Jugendliche aus der deutschstämmigen Minderheit im Schwange sind. Sehr oft höre ich auch, dass Erwachsene deutscher Herkunft, wenn sie in typischen Neuköllner Alltagssituationen Jugendliche mit Migrationshintergrund zu einer Verhaltensänderung auffordern (z.B.: "Mach´ bitte mal deine Musik leiser!"), als "Nazis" beschimpft werden. Einwanderer sind eben auch bloß Menschen: Sie haben Stärken und Schwächen, genau wie die Alteingesessenen, und oft sind es dieselben Stärken und Schwächen.
Zu Ihren Fragen im Einzelnen:
- Eine Definition, wie Sie sie hier vorstellen, gehört vor allem in den wissenschaftlichen Diskurs; sie kann auf diesem Wege auch die von der Politik unabhängige Rechtsprechung beeinflussen. Aufgrund meiner Lebenserfahrung (ich habe mich dem Thema bisher nicht wissenschaftlich genähert) scheint mir, dass die Wahrnehmung der Betroffenen in der weitaus überwiegenden Zahl der Vorkommnisse ein zuverlässiger Seismograph ist, vor allem, weil es Formen des Rassismus gibt, die dem, der sie ausübt, gar nicht bewusst sind. Ich halte aber auch Situationen für denkbar, in denen Betroffene, weil sie aufgrund leidvoller Erfahrung stets mit rassistischen Motivationen anderer rechnen, Verhaltensweisen als Rassismus wahrnehmen, die objektiv keine sind. Letztlich sollte die Einzelfallentscheidung nicht durch eine zu starre Definition ausgehebelt werden.
- Für das "racial profiling" (also behördliches Handeln aufgrund der Rasse der davon betroffenen Menschen) gibt es im deutschen Recht keine spezifische Regelung; es verstößt aber in jedem Fall gegen des Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes. Auch § 22 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes darf nicht als Rechtfertigung für eine Personenkontrolle aufgrund ihrer Rasse missbraucht werden. Aber um Rassismus in der Polizei zu bekämpfen, halte ich es vor allem für erforderlich, dass die ethnische Vielfalt Berlins sich im Personalkörper entsprechend widerspiegelt. Schon jetzt sollte in Polizeiberichten die Herkunft eines Täters bei der Beschreibung der Tat nur dann eine Rolle spielen, wenn sie für die Tat erkennbar ursächlich war (was sehr selten der Fall sein dürfte). Generell ist der Innensenator (für den ich als Bundestagsabgeordneter aber nicht zuständig wäre) aufgefordert, in der Polizei über racial profiling aufzuklären und dagegen vorzugehen. Andererseits halte ich es für wichtig zu untersuchen, ob bestimmte Bereiche der Kriminalität unter bestimmten Ethnien besonders häufig auftreten, um eine gezielte Analyse der Ursachen und wirksame Prävention zu ermöglichen. Bei der Verbrechensbekämpfung darf dann aber die Herkunft der Täter ebensowenig eine Rolle spielen wie die der Opfer.
- Schon heute gibt es eine Antidiskrimierungsstelle des Bundes (die allerdings mehr Personal braucht) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Rassismus zu verhindern hilft. Für echte Gleichbehandlung ist aber noch viel zu tun. Mir als Neuköllner ist besonders wichtig, dass wir Schulen und Kitas besser ausstatten, damit sie unsere Kinder und Jugendlichen so fördern können, wie sie es brauchen. Nur durch Bildung werden nämlich Aufstiegsperspektiven auch für die Innenstadtjugend mit Migrationshintergrund geschaffen. Dass wir in Zehlendorf einen Abiturientenanteil von 50 %, in Neukölln aber von 20 % Prozent haben, ist eine Form des institutionellen Rassismus, den wir als Stadtgesellschaft nicht hinnehmen dürfen.
- Ein klares Ja. In einem anrührenden Bericht habe ich einmal von Waisenkindern unterschiedlicher Herkunft gelesen, von denen ein Kind, das aus dem Mittelmeerraum stammte, seinen Neid auf Kinder aus Osteuropa zum Ausdruck brachte, weil die wegen ihres Aussehens die Möglichkeit hatten, einfach in der Mehrheitsgesellschaft aufzugehen wie ein Fisch im Schwarm. Wenn das von einem Menschen arabischer oder türkischer Herkunft schon so empfunden wird, um wieviel mehr muss es dann von Schwarzen Menschen gelten, bei denen nicht nur das Aussehen das Gefühl des Andersseins verstärkt, sondern die auch unter den Neuköllnerinnen und Neuköllnern mit Migrationshintergrund eine relativ kleine und wenig akzeptierte Gruppe bilden. Der Aufklärung und dem Bemühen gegen die Ausgrenzung von Neuköllnerinnen und Neuköllnern mit schwarzer Hautfarbe muss deshalb meines Erachtens besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Auch an diesem Punkt setze ich vor allem auf die Gemeinsamkeit schaffende Kraft von Kita und Schule.
Mit freundlichem Gruß
Ihr Fritz Felgentreu