Frage an Fritz Felgentreu von Henrike N. bezüglich Recht
Lieber Herr Felgentreu,
wie stehen Sie und wie steht die SPD zur Vorratsdatenspeicherung?
Danke.
Grüße,
Naumann
Liebe Frau Naumann,
die EU-Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet Deutschland ein Gesetz zu erlassen, durch das alle Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden, die Verbindungsdaten ihrer Kundinnen und Kunden mindestens 6, höchstens 24 Monate zu speichern. Auf Verbindungsdaten von tatverdächtigen Kunden sollen die Ermittlungsbehörden der Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen zugreifen dürfen.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz, mit dem diese Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden sollte, für verfassungswidrig erklärt und die SPD hat dieses Urteil ausdrücklich begrüßt. Für die SPD ist klar: Datenschutz und Grundrechte müssen gestärkt werden. Nur in diesem Rahmen wäre eine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland überhaupt möglich.
Der Bundesparteitag der SPD hat deshalb im Dezember 2011 die Bundesregierung aufgefordert darzulegen, wie und wann sie die EU-Richtlinie im Hinblick auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen gedenkt. Für die SPD ist es zwingend, dass diese Vorgaben bei der Ausgestaltung eines Umsetzungsgesetzes strikt befolgt werden müssen. Denn, die von der EU-Richtlinie geforderte Speicherungsverpflichtung stellt einen gravierenden Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Nutzerinnen und Nutzer von Telekommunikationsdiensten dar.
Insbesondere die von der Richtlinie vorgeschriebene Mindestspeicherdauer von 6 Monaten greift unverhältnismäßig stark in das Grundrecht ein. Eine derart langfristige verdachtsunabhängige Speicherung von Telefon- und Internetverbindungen lehnt die SPD ab. Wir setzen uns auf europäischer Ebene für eine Revision der EU-Richtlinie ein. Dabei geht es insbesondere um die Möglichkeit auf nationaler Ebene weitere Einschränkungen regeln zu können:
1. eine Verkürzung der Speicherfristen auf deutlich unter sechs Monate. Feststellungen in der Praxis haben ergeben, dass eine Speicherdauer von drei Monaten in aller Regel ausreichend ist.
2. eine Differenzierung der Speicherdauer und der Zugriffsvoraussetzungen anhand der zu speichernden Datenarten hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität.
Zudem müssen die Telekommunikationsunternehmen gesetzlich verpflichtet werden, mindestens den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 2. März 2010 festgelegten Datenschutz-Standard zu gewährleisten und aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die so bei den Providern gespeicherten und geschützten Daten dürfen zur Strafverfolgung nur abgerufen werden, wenn ein Nutzer / eine Nutzerin verdächtig ist, schwerste Straftaten gegen Leib, Leben oder sexuelle Selbstbestimmung begangen zu haben.
Ein Abruf für zivilrechtliche Zwecke muss rechtssicher ausgeschlossen werden (z.B. bei Urheberrechts- und Copyright-Fragen). Die nach der Rechtsgrundlage für eine Vorratsdatenspeicherung erhobenen Daten dürfen nicht zur Erstellung eines Bewegungsprofils abgefragt werden.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft muss richterlich darüber entschieden werde , ob die Daten eines Nutzers / einer Nutzerin durch Ermittlungsbehörden bei einem Provider abgerufen werden dürfen. Um die Garantie der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, ist ein qualifizierter Richtervorbehalt vorzusehen. Über einen erfolgten Abruf muss zwingend eine revisionssichere Protokollierung erfolgen. Dem / der Betroffenen ist eine nachgelagerte Auskunft über den Datenabruf zu erteilen. Für die Daten eines Berufsgeheimnisträgers muss ein absolutes Verwertungsverbot gelten. Grob fahrlässige Verstöße gegen Datensicherheit-Standards oder vorsätzliche Verstöße gegen die vorstehenden Regelungen müssen strenge Sanktionen nach sich ziehen.
Im Rahmen dieser Einschränkungen und bei Einhaltung der strengen Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht für eine Umsetzung der Richtlinie festgelegt hat, betrachtet die SPD den Abruf der Telekommunikationsverbindungdaten bei den Providern durch Ermittlungsbehörden als ein verhältnismäßiges Instrument zur Kriminalitätsbekämpfung und zur Gefahrenabwehr.
Die Analogie der Vorratsdatenspeicherung mit einem herkömmlichen Briefwechsel in Papierform zeigt: Wirklich befriedigen wird auch diese sehr abgewogene Haltung meiner SPD kaum jemanden, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Wir würden es alle als eine Verletzung des Postgeheimnisses betrachten, wenn die Post oder die PIN AG dazu überginge, die Absender und Adressaten von Briefen und Datum und Ort der Einsendung zu speichern. Genau das aber macht die Vorratsdatenspeicherung im Bereich der digitalen Kommunikation.
Ich erkenne dennoch das Recht des Europäischen Parlaments an, Richtlinien zu erlassen, die Deutschland dann umsetzen muss. Der Europäische Gerichtshof hat 2009 entschieden, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf der richtigen Rechtsgrundlage zustande gekommen ist. Klarheit hätten wir also erst, wenn der EuGH in einem weiteren Schritt urteilt, dass die Richtlinie dennoch inhaltlich gegen Artikel 7 und 8 der Grundrechte-Charta (also gegen das Kommunikationsgeheimnis und den Datenschutz) verstößt oder ähnlich enge Vorgaben dafür macht wie das Bundesverfassungsgericht. Bis es soweit ist, halte ich die SPD-Position für einen akzeptablen Kompromiss, der unserer europäischen Verpflichtung, den sicherheitspolitischen Zielsetzungen und dem Schutz der Grundrechte gerecht wird.
Mit bestem Gruß
Ihr Fritz Felgentreu