Frage an Fritz Felgentreu von Martin R. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Felgentreu,
an diesem Samstag fand in Berlin die durch ein großes Bürgerbündnis gestützte ´Freiheit-statt-Angst-Demo´ statt.
Als Neu-Neuköllner, der in Ihrem Wahlkreis wohnt, mochte ich gerne von Ihnen erfahren,
wie Sie zu den von Frau von der Leyen initiierten Netzsperren stehen.
Mit freundlichen Grüßen,
Martin Riemer
Sehr geehrter Herr Riemer,
vielen Dank für Ihre Frage vom 13. September 2009 zum Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen, das am 18. Juni 2009 vom Bundestag beschlossen wurde.
Gerne nehme ich hierzu Stellung, wobei ich ein wenig ausholen möchte, um die komplexen Zusammenhänge zu diesem sensiblen Thema deutlich machen zu können.
Ich bin überzeugt, wir alle wollen einen effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung. In den vergangenen Jahren haben wir das Herstellen, die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie lückenlos unter Strafe gestellt. Die SPD-Fraktion hat darüberhinaus mit einem Anfang Mai beschlossenen 10-Punkte-Plan ein umfassendes Konzept mit konkreten zusätzlichen Maßnahmen vorgelegt. Eines seiner Kernforderungen lautet, dass die Strafverfolgungsbehörden dauerhaft personell und technisch gut ausgestattet sind und die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden weiter gestärkt wird.
Der Kampf gegen Kinderpornografie hat viele Facetten, die sich ergänzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Unabhängig von der Frage, ob der Missbrauch von Kindern selbst zugenommen hat, stellt sich zunehmend das Problem der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Internet. Dies liegt an den Besonderheiten des Internets, in dem auch rechtswidrige Inhalte schnell verbreitet und anonym sowie ohne soziale Kontrolle konsumiert werden können. Die Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet ist deshalb ein wichtiges Thema. Das dürfte weitgehend unbestritten sein. Auch ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Ein rechtswidriges Verhalten dort kann selbstverständlich genauso strafbar sein oder zivilrechtlich verfolgt werden wie ein rechtswidriges Verhalten auf der Straße.
Fraglich ist letztlich, mit welchen Maßnahmen die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet angemessen, rechtsstaatlich sauber und möglichst effektiv verhindert oder zumindest erschwert werden kann. Bereits nach heutiger Rechtslage werden Kinderpornografie-Seiten, die sich auf deutschen Servern befinden, von den Internetprovidern heruntergenommen. Ein solcher direkter Zugriff ist im Ausland nicht möglich. Nur deshalb stellt sich die Frage nach Zugangssperren. Es geht hierbei aber nicht um eine Internetzensur - es geht um die Bekämpfung krimineller Handlungen in einem ganz besonders gelagerten Fall.
Mit dem Gesetz wird das Ziel verfolgt, den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten zu erschweren. Dabei ist bekannt, dass versierte Nutzer diese Sperrung technisch umgehen können. Es kommt aber auch darauf an, die Hemmschwelle, die an dieser Stelle in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, wieder signifikant zu erhöhen. Dem dient neben der Sperrung einzelner Seiten die Umleitung auf eine Stoppseite mit entsprechenden Informationen.
Mit dem im Juni beschlossenen Gesetz wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf von Frau von der Leyen ganz wesentlich überarbeitet und verbessert, wobei die SPD-Bundestagsfraktion ihre wichtigsten Änderungsvorschläge in den Verhandlungen mit der CDU/CSU-Fraktion durchsetzen konnte. Die SPD-Fraktion hat damit auch die wesentlichen Kritikpunkte, die sich aus der Bundestagsanhörung und der Stellungnahme des Bundesrates ergeben haben, positiv aufgegriffen.
Der endgültige Beschluss hat insbesondere folgende Änderungen gebracht:
1. „Löschen vor Sperren“:
Die Regelung kodifiziert den Grundsatz „Löschen vor Sperren“. Danach kommt eine Sperrung durch die nicht verantwortlichen Internet-Zugangsvermittler nur dann in Betracht, wenn eine Verhinderung der Verbreitung der kinderpornografischen Inhalte durch Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen nicht möglich oder nicht in angemessener Zeit Erfolg versprechend ist.
2. Kontrolle der BKA-Liste:
Die Neuregelung nimmt den Wunsch nach mehr Transparenz auf und etabliert ein unabhängiges Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Mit Blick auf die vornehmlich juristischen Aufgaben, nämlich zu bewerten, ob Inhalte die Voraussetzungen des § 184 b StGB erfüllen, muss die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste jederzeit einzusehen und zu überprüfen. Mindestens einmal im Quartal erfolgt zudem zusätzlich auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben eine Prüfung, ob die Einträge auf der Sperrliste den Voraussetzungen des Paragraphen 1 Satz 1 erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das Bundeskriminalamt den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen. Das Expertengremium wird vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für die Dauer der Geltung des Gesetzes (31. Dezember 2012) bestellt.
3. Datenschutz:
Das Gesetz dient ausschließlich der Prävention. Verkehrs- und Nutzungsdaten,
die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung
anfallen, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden.
Damit wird auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgeleitete
Nutzer/innen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen könnten. Zudem ist
keine Speicherung personenbezogener Daten bei den Internetprovidern mehr
vorgesehen.
4. Spezialgesetzliche Regelung:
Die im Gesetzentwurf bisher für das Telemediengesetz vorgeschlagenen Regelungen zur Zugangserschwerung werden in eine spezialgesetzliche Regelung überführt. Ausschließliches Ziel des Gesetzes ist die Erschwerung des Internetzugangs zu kinderpornografischen Inhalten. Mit dem neuen Regelungsstandort in einem besonderen Gesetz soll noch deutlicher werden, dass eine Zugangserschwerung auf weitere Inhalte ausgeschlossen bleiben soll. Der Änderungsantrag geht damit auf die vielfach geäußerten Befürchtungen ein, die Zugangserschwerung könnte mittelfristig weiter ausgedehnt werden.
5. Befristung:
Die Geltungsdauer des Gesetzes ist bis zum 31.12.2012 befristet. Auf der Grundlage der nach zwei Jahren vorzunehmenden Evaluierung wird der Gesetzgeber in die Lage versetzt, zu prüfen und zu bewerten, ob die Maßnahme erfolgreich war, um endgültig zu entscheiden.
Mit der neuen gesetzlichen Regelung will der Bund nicht nur die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet bekämpffen, sondern er schützt zugleich Internetnutzer, sichert rechtsstaatliche Grundsätze und ermöglicht ein transparentes Verfahren.
Mein persönliches Fazit: Der Bundesgesetzgeber hat es sich nicht leicht gemacht. Ich hätte gerne an den Debatten in der SPD-Fraktion teilgenommen - dann könnte ich heute besser nachvollziehen, welche Argumente zur Annahme gerade dieser Konstruktion geführt haben. Trotzdem sehe ich weiterhin Probleme. Ich vermute: Wenn die Effektivität des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie zweifelsfrei erwiesen wäre, dürften die Regelungen, die als Zensur kritisiert werden, wohl als hinnehmbar erscheinen. Aufgabe des Gesetzgebers wäre es dann vor allem darauf zu achten, dass die hier geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten nicht beliebig ausgeweitet werden. Gerade die Effektivität aber bleibt umstritten. Nach meinem Kenntnisstand findet der Austausch von kinderpornographischem Material in der Regel nicht über einschlägige Websites statt. Wenn das richtig ist, würde die Zielrichtung des Gesetzes ins Leere laufen. Deshalb wird der Gesetzgeber bei der Evaluierung vor allem zu prüfen haben, ob die Erfahrungen zeigen, dass das Gesetz seinen Zweck überhaupt erfüllen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Fritz Felgentreu