Frage an Fritz Felgentreu von Dirk B. bezüglich Familie
Guten Tag !
Trotz Verbots werden in Neukölln Hunderte von Wettbüros betrieben. Diese Läden spiegeln das Bild unserer laissez-faire-Parallelgesellschaft eindeutig wider. Es ist hinlänglich bekannt, dass es in diesem Milieu nicht nur um Sportwetten geht (die ohnehin verboten sind, siehe dazu auch folgende Pressemitteilung: http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/ovg/presse/archiv/20090109.1455.118159.html ) . Nicht nur wird in diesen Kaschemmen oftmals das ganze Hab und Gut von den oft auf Hartz IV oder anderen Transferleistungen angewiesenen meist türkischen oder arabischen Familien verspielt, nein, auch die Kinder dieser Famlien kommen schon früh in Kontakt mit diesem destruktiv-negativen Milieu (schliesslich halten sich die Väter oft tagtäglich von morgens bis abend dort auf).
Warum wird nicht entschieden gegen diese Wettbüros vorgegangen? Warum wird einfach hingenommen, dass Familien verarmen, Väter sich noch mehr aus ihrer Verantworung stehlen und die Kinder in Armut, Spielsucht, Gewalt und Kriminalität aufwächst ?
Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.
Sehr geehrter Herr Bartels,
vielen Dank für Ihre Frage vom 05. September 2009, auf die ich Ihnen gerne antworte.
Sie haben recht, dass die Wettbüros nach der Rechtsauffassung des Senats weiterhin nicht zulässig sind. Die mangelhafte Durchsetzung des staatlichen Wettmonopols hat allerdings weniger mit Laissez-faire als mit einer juristisch bedingten Selbstblockade zu tun.
Nach dem, was ich habe in Erfahrung bringen können, bearbeitet das Neuköllner Ordnungsamt keine Neu-Anmeldungen von Wettbüros, weil dieses Gewerbe nach wie vor unzulässig ist. Die Betreiber teilen deshalb dem Ordnungsamt die Eröffnung lediglich formlos mit. Das Ordnungsamt leitet die Mitteilung an das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten weiter, das dem Betreiber dann einen ablehnenden Bescheid zusendet, gegen den der Betreiber Widerspruch einlegen und klagen kann. Und jetzt der Clou: Immer wenn die Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht unmittelbar bevorsteht (die stets zugunsten des Landes ausfällt) schließt das Wettbüro formal und öffnet dann am nächsten Tag mit neuem Betreiber wieder. Und so weiter.
Dass dieser Zustand unhaltbar ist, ist klar. Das Land Bayern hat daraus offenbar den Schluss gezogen, die Wettbüros einfach zuzulassen. Berlin hat noch nicht kapituliert, aber offenkundig auch noch keine vernünftige Lösung gefunden.
Ihre Milieukritik würde jedenfalls als Rechtsgrund für die Schließung von Wettbüros vor Gericht keinen Bestand haben. Und sie hilft auch in der Sache nicht so richtig weiter. Denn wenn "Familien verarmen, Väter sich noch mehr aus ihrer Verantwortung stehlen und die Kinder in Armut, Spielsucht, Gewalt und Kriminalität" aufwachsen, liegt das zunächst einmal an den Eltern (meist besonders den Vätern) selbst.
Mein Fazit, um den Kindern zu helfen, ist immer dasselbe. Die Familien müssen mit geeigneten Mitteln an ihre Erziehungsverantwortung erinnert werden. Dazu gehören (neben präventiven und unterstützenden Maßnahmen) bei konkreten Verstößen gegen Elternpflichten auch Sanktionen - z.B. die Vollstreckung von Bußgeld-Bescheiden bei Verletzung der Schulpflicht. Aber wenn die Eltern sich nicht richtig um ihre Kinder kümmern, liegt das oft schlicht an Unvermögen, nicht an böser Absicht. In diesen Fällen muss das Bildungssystem (also vor allem Kita und Schule) auffangen, was die Familien nicht leisten.
Damit das Bildungssystem das auch kann, sind noch große Anstrengungen erforderlich, für die der Bund den rechtlichen und finanziellen Rahmen schaffen muss. Der Grundgedanke dabei ist, dass wir in Zukunft weniger direkt in die Familien und mehr in die Bildungseinrichtungen investieren. Z.B. hätte mit den 10 Euro Kindergeld-Erhöhung dieses Jahr bundesweit flächendeckend das letzte Kita-Jahr kostenlos finanziert werden können.
Auf diesen Weg müssen wir uns begeben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Fritz Felgentreu