Portrait von Fritz Felgentreu
Fritz Felgentreu
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Fritz Felgentreu zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Laura N. •

Frage an Fritz Felgentreu von Laura N. bezüglich Verbraucherschutz

Auf Ihrer Homepage nennen Sie den Datenschutz als einen Ihrer Schwerpunkte. Wie stehen Sie zum Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das auch von der SPD verabschiedet wurde?

Portrait von Fritz Felgentreu
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Nitzschke,

ich danke Ihnen für Ihre Frage vom 30. August 2009.

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, die Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt und Kriminalität zu schützen. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit und die Wahrung der Bürgerrechte stehen in einem Spannungsverhältnis, aber nicht im Gegensatz zueinander. Der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Schutz vor kriminellen oder terroristischen Gewaltakten durch den Staat ist selbst ein Bürgerrecht. Alle Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit dürfen die Freiheitsrechte der Menschen nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich einschränken. Je schwerer ein Eingriff ist, desto enger ziehen wir die Grenzen und desto strenger müssen die Kontrollmöglichkeiten sein.

Ich möchte Ihre Anfrage zum Anlass nehmen, Ihnen einen Überblick über das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur so genannten Vorratsdatenspeicherung zu geben. So soll deutlich werden, weshalb - und somit zugleich unter welchen Voraussetzungen bzw. Einschränkungen - die SPD dem Gesetz im Deutschen Bundestag zugestimmt hat.

Das Gesetz
· novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
· setzt die EU-Richtlinie zur so genannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
· und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Bereits unter rot-grüner Regierung hatte die Novelle ihren Anfang genommen. Der vom Bundesjustizministerium erarbeitete Entwurf konnte aufgrund des vorzeitigen Endes der 15. Legislaturperiode zunächst nicht weiterverfolgt werden. Das nun beschlossene Gesetz hat diese Arbeiten weitergeführt. Zwischenzeitliche Entwicklungen sind in ihm berücksichtigt. Zum einen sind es Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die eingangs erwähnte EU-Richtlinie umzusetzen, zum anderen waren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu beachten.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen, soweit sie berechtigt sind. Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, sodass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten müssen und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein muss. Deshalb haben wir das Telekommunikations-Überwachungs-Recht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt wie bisher, dass sie grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.

Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Hürde 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtlichen Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie
- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,
- den Rechtsfrieden empfindlich stört und
- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung
erheblich zu beeinträchtigen.

Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Trotz der Vorkehrungen, die der Gesetzgeber gegen zu weitgehende Eingriffe in Grundrechte getroffen hat, halte ich diesen Teil des Gesetzes für problematisch. Er ist der Grund, warum das Land Berlin die Novelle im Bundesrat nicht unterstützt hat. Bei Ärzten und Patienten, Rechtsanwälten und Mandanten darf das besondere Vertrauensverhältnis nicht unterminiert werden. Und bei Journalisten ist unklar, wer alles Journalist sein kann - für den Berufsstand gibt es keine juristische Definition. Der 17. Bundestag sollte diese Bestimmung zumindest präzisieren.

Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.

Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.

Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.

Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.

Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind:
· Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
· Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
· Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
· Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
· Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.

Im Ganzen hat die SPD-Bundestagsfraktion in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Fritz Felgentreu