Frage an Friedrich Ostendorff von Peter K. bezüglich Energie
Sicherlich versinken Sie nach der SPIEGEL-Offensive in Mails, ich hoffe sie haben trotzdem Zeit sich mit meinen Fragen auseinanderzusetzen. Vorweg: ich wähle seit 21 Jahren Grün, aber diesmal bin ich unsicher.
Die Rohstoffe werden knapp, der Energiehunger der Welt steigt (ich mag mir gar nicht ausmalen wenn jeder Chinese einmal pro Woche sein Auto volltanken will, rechnen Sie nach, wenn bei 1Mrd neuer Autos jedes Auto 2m lang ist, reicht die Schlange 2,5XMal zum Mond und wieder zurück wenn ein Auto nur 2M lang wäre). Ist es jetzt nicht (notgedrungen) an der Zeit doch der Kernenergie den Vorrang zu geben (so schwer es auch fällt). Könnten regenerative Energien überhaupt jemals so viel Energie erzeugen? Wie viele Windparks und Rapsfelder bräuchten wir denn? Bedeutet nicht Kernenergie BILLIGE Energie und damit mehr Geld in den Taschen der Leute und damit eine Chance für die Wirtschaft? Wären wir nicht unabhängiger? Würde der CO2-Ausstoß nicht signifkant verringert? Filter sind auch teuer und letztlich zahlen die Bürger viel Geld für Energie, die sie brauchen um überhaupt zum Arbeitsplatz zu gelangen.
Vielen Dank für´s Lesen ;-)
P.Klauß
Sehr geehrter Herr Klauß,
vielen Dank für Ihr Interesse an der Politik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gerne beantworte ich Ihre Fragen:
Antwort zur Frage 1:
Nein! Es geht nicht darum, ob es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eventuell schwer fällt, einen einmal eingeschlagenen Weg rückgängig zu machen. Vielmehr spricht eine Vielzahl von Argumenten eindeutig gegen einen erneuten Einstieg in die Atomenergie:
Ein zentrales Argument für den Ausstieg aus der Atomenergie bleibt das enorme Risiko von Unfällen aufgrund technischer Mängel oder menschlichen Versagens. Reaktorunfälle werden nie auszuschließen sein und ihre Folgen können zu unkalkulierbaren Schäden für ganze Regionen führen. Atomanlagen sind zudem gefährliche Ziele für Terroristen, was besonders für einige deutsche AKWs ohne Kuppelüberbau gilt. Dabei gilt das Umweltrisiko nicht nur für den Betrieb von Reaktoren, sondern für den gesamten Brennstoffzyklus. Schon die Uranerzgewinnung verseucht ganze Landstriche.
Der Transport und die Lagerung radioaktiver Materialien bergen unvertretbare Risiken. Mittlerweile haben sich insgesamt ca. 250.000 Tonnen Atommüll weltweit angesammelt! Vor allem aber gibt es kein sicheres Konzept für die Entsorgung. Die interlassenschaften der Atomkraft bilden über Jahrtausende eine strahlende Erblast für die zukünftigen Generationen. Weltweit existiert für die stetig wachsenden radioaktiven Rückstände ausgebrannter Elemente bis heute kein Endlager. Die Aufgabe, Atommüll dauerhaft sicher zu lagern, ist auch ambitioniert. Eine Laufzeitverlängerung von nur acht Jahren, die Ihre Frage u.a. impliziert, würde nach Berechnungen des Bundesamtes für Strahlenschutz die
Menge an radioaktivem Abfall in Deutschland noch einmal um 3.400 Tonnen anwachsen lassen. Hinzu kommt, dass das Anhäufen waffenfähigen Plutoniums und mittel- sowie
hochangereicherten Urans die Proliferationsgefahr erhöht, die Abrüstung behindert und neue Gefahrenpotenziale schafft. Nun wird vorstellbar, was eine Vorrangpolitik für die Atomenergie, die Sie in Erwägung ziehen, bedeuten würde.
Antwort zur Frage 2:
Das Potenzial der Erneuerbaren Energien ist unendlich. Man könnte technisch den Energiebedarf der Erde mit Ihnen mehrfach decken. Man denke nur an das große Potenzial der Sonnenenergie. Es ist heute allein eine Frage der Kosten, die kurzfristig gesehen noch höher liegen als bei konventionellen Energieträgern, weil andere Energieträger z.T. hochsubventioniert (Kohle, Atom) sind bzw. deren externe Effekte (Umwelt-, Klimafolgekosten, Gesundheitskosten etc.) sich nicht in deren Preisen widerspiegeln. Langfristig zahlen sich die Investitionen in Erneuerbare Energien allerdings
aus: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt in seinem aktuellen Vierteljahresheft (2/2005) zum Beispiel fest, dass die ökonomischen Schäden durch extreme Wetterereignisse in den letzten 30 Jahren um den Faktor 15 zugenommen haben. Auch Versicherungen, wie die Münchner Rück, bekommen dies immer stärker zu spüren. Durch eine schnelle, aktive Klimaschutzpolitik und Erneuerbare Energien könnten bis zum Jahr 2050 in Deutschland gesamtwirtschaftliche Schäden in Höhe von bis zu 650 Milliarden? (weltweit von bis zu 200 Billionen US$) vermieden werden.
Antwort zur Frage 3:
Bündnis 90/Die Grünen wollen in Deutschland bis 2020 einen Anteil der Erneuerbaren Energien am gesamten Energiebedarf von 25 % erreichen. (Lesen Sie weiter zum Thema ?Weg vom Öl?: www.gruene-bundestag.de/cms/energie_klima/dok/79/79610.htm)
Das ist realistisch und dafür stehen auch genügend Flächen zur Verfügung. Zum einen werden hohe Anteile von Erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren vor allem im Windenergiebereich durch neue Offshore-Windanlagen an der Küste sowie durch das Repowering (Ersatz vieler kleiner durch leistungsstärkere, größere Anlagen) möglich. Zum anderen im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe für Strom, Wärme und Treibstoffe. Hier werden viele Flächen nach massiven Flächenstilllegungen in der Landwirtschaft für den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen frei. Dabei soll es selbstverständlich
nicht nur um Raps gehen. Wir wollen die gesamte Palette an Biomasse nutzen, vor allem auch Ganzpflanzen. Damit werden zukünftig deutlich höhere Bioenergieanteile möglich.
Ein Blick auf die aktuelle Statistik, weist auf die Bedeutung nachwachsender Rohstoffe hin: Auf mehr als 1,4 Millionen Hektar oder umgerechnet 12 Prozent der gesamten Ackerfläche wachsen in diesem Jahr bereits Industrie- und Energiepflanzen. Ob Raps, Energiegetreide, Mais, Kartoffeln oder Sonnenblumen: nachwachsende Industriepflanzen sind zu einem wirtschaftlichen Standbein für die heimischen Landwirte und zur unverzichtbaren Rohstoffquelle für die Industrie geworden. Damit hat sich der Anbau
nachwachsender Rohstoffe seit Beginn der 90er Jahre mehr als verfünffacht.
Antworten zur Frage 4 und 5:
Es gibt keine unabhängigen Energieträger, außer den regenerativen Energieträgern (Wasser, Wind, Sonne und Biomasse). Schließlich ist auch der Brennstoff Uran nur noch wenige Jahrzehnte (ca. 50 Jahre bei gleich bleibendem Verbrauch) verfügbar und auch dieser Brennstoff muss eingeführt werden. Die wenigen deutschen Abbaulager wurden 1990 u.a. aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen.
Die Milliardeneinsparungen - von denen bei der Laufzeitverlängerung die Rede ist - würden durch neue Kosten zum großen Teil wieder aufgefressen: ? Durch einen erhöhten Sicherheitsbedarf: Je älter die Anlagen sind, desto unsicherer werden sie. Da AKW im weltweiten durchschnitt nur 29 Jahre laufen, ist abzusehen, dass eine Laufzeitverlängerung teurere Sicherheitsnachrüstungen erforderlich macht, um ein Minimum an Sicherheit zu gewährleisten. Durch Kosten für den zusätzlichen Atommüll. Die Menge des Atommülls und die damit zusammenhängenden Kosten nehmen entsprechend zu. Durch steigende Uranpreise. Auch der Brennstoff Uran ist wie Öl nur
noch wenige Jahrzehnte verfügbar. Die Brennstoffkosten haben sich bereits im
vergangenen Jahr verdreifacht. Spätestens in 10 - 15 Jahren rechnen Experten
aufgrund der Knappheit mit Preissprüngen. Kaum vorstellbar, welche Kosten der Ausbau der Kernenergie verursachen würde. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Staat die Atomenergie mit über 100 Milliarden Euro aus Steuergeldern subventioniert. Sie ist bis heute nicht wettbewerbsfähig, denn bis heute genießen die Betreiber Steuerfreiheit
für die Entsorgungsrückstellungen und Rabatte bei der Versicherung von möglichen Schäden. Externe Effekte der Atomenergie, also Kosten für Umweltverschmutzungen,
radioaktive Verseuchung und Gesundheitsgefährdungen bleiben hier noch unberücksichtigt.
Neue Atomkraftwerke rechnen sich für Betreiber nur, wenn der Staat ihnen mit Subventionen kräftig unter die Arme greift oder wenn, wie im Fall Finnland, Festpreise für Kraftwerksbau und Stromabnahme vereinbart werden. Beide Voraussetzungen sind dort nicht vorhanden, wo die Strommärkte vollständig liberalisiert sind. Und der Ruf nach einer Laufzeitverlängerung dokumentiert lediglich den Versuch der Unternehmen mit jahrzehntealten und technisch überholten Investments möglichst lange Geld zu verdienen. Dies trägt jedoch zur Verschleppung notwendiger milliardenschwerer Investitionen in moderne Kraftwerke bei. Zu Strompreissenkungen für die Verbraucher käme es nicht, sondern nur zu einer Erhöhung der Rendite der Energieversorgungsunternehmen, die dies sogar selber zugeben. Die wesentliche Ursache für steigende Strompreise, die Sie in Ihrer Frage auch ansprechen, liegt im brachliegenden Wettbewerb, im Stromvertrieb und einem Strommarkt der zu 90 % bei der Erzeugung von vier Marktführern beherrscht wird, die den Börsenpreis diktieren und alljährlich Traumrenditen im Stromgeschäft abschöpfen können.
Die Laufzeitverlängerung ist eine Investitionsbremse für Investitionen in Erneuerbare Energien, in effiziente Technologien und in innovative Energiedienstleistungen, die dafür sorgen, dass Energie intelligenter genutzt und weniger verschwendet wird. Eine solche Investitionsbremse verhindert über Jahre die notwendigen Klimaschutztechnologien und
gleichzeitig viele neue Arbeitsplätze: während im Bereich der Atomenergie die Zahl der Beschäftigten für Jahre bei etwa 38.000 bliebe, könnten allein im Bereich der Erneuerbaren Energien nach Berechnungen des BMU bis 2020 etwa 400.000 Arbeitsplätze entstehen.
Atomkraft als Mittel gegen den Klimakollaps funktioniert ebenfalls nicht. Auch Atomkraftwerke produzieren über die gesamte Produktions- und Entsorgungskette CO2-Mengen. Selbst wenn ab sofort weltweit alle verfügbaren Mittel in den Ausbau der Atomenergie gelenkt würden, wäre der Effekt auf den globalen Treibhausgas-Ausstoß marginal (Der Anteil der Atomenergie an der Energieversorgung beträgt weltweit lediglich 7 Prozent). Allein in Deutschland müssten für eine solche Ausbau-Strategie nach Berechnungen der Energie-Enquete-Kommission des 14. Bundestages 70 - 90 Atomkraftwerke gebaut werden, weltweit tausende.
In Ihrem Eingangsstatement erwähnten Sie die zukünftig steigende Anzahl von Kraftfahrzeugen in wachstumsstarken Ländern, wie China. Ein Ausbau der Atomenergie, könnte diesen wachsenden Energiebedarf nicht ausgleichen. Die Atomenergie ist nur für den Strombereich relevant. Im Verkehrsbereich setzen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf den Ausbau der öffentlichen Nah- und Fernverkehrssysteme, der Verkehrsvermeidung sowie auf einer zunehmenden Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Besonders
wichtig ist die Steigerung der Effizienz, die zum Energiesparen beiträgt und die Nutzung alternativer Kraftstoffe, wie sie in unserem Green Car Paper beschrieben wird, dass Sie unter www.gruene-bundestag.de/cms/publikationen/dokbin/64/64732.pdf finden.