Frage an Friedrich Ostendorff von Alexander S. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Ostendorff,
die (konventionelle) Landwirtschaft wird gegenwärtig für viele Umweltprobleme verantwortlich gemacht.
Ihre Fraktion prangert den "Gülletourismus" an. Ist es nicht sinnvoll, in Ackerbauregionen mit organischem Dünger aus Veredelungsregionen zu düngen anstatt hier mit Mineraldünger aus energieaufwändigem Haber-Bosch-Verfahren zu arbeiten? Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass (menschliche) Klärschlämme durch halb Deutschland transportiert werden und dann z.B. in Zementwerken getrocknet und verbrannt werden (punktuell hoher Eintrag von Stickstoff)? Gibt es Berechnungen, wieviel Stickstoff (kg) in den Ausscheidungen aller 82 Mio. Bundesbürger enthalten ist und über Kläranlagen oder Verbrennung von Klärschlammen in die Umwelt emittiert wird? Wie hoch ist die Stickstoffmenge, die in Deutschland über Ad-Blue-Einsatz in Dieselmotoren emittiert wird? Und liegen Ihnen Erkenntnisse vor, wieviel Prozent der Abwässer aus Haushalten und Industrie im Kanalsystem durch Undichtigkeiten in tieferen Erdschichten und damit grundwassernäher als jede landwirtschaftliche Düngung verloren geht? Wie kann es sein, dass die heutige "Massentierhaltung" zum Urheber der Nitratproblematik erhoben wird, während vor gut einhundert Jahren noch etwa doppelt soviele Großvieheinheiten in Deutschland gehalten wurden wie heute?
Herzlichen Dank für Ihre Antwort
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Grundsätzlich ist es das urbäuerliche Prinzip der Kreislaufwirtschaft, das ich als Politiker und als Bauer (seit über 50 Jahren) unterstütze. Das Futter für die Tiere wird dabei möglichst auf dem eigenen Betrieb angebaut. Der Dung der Tiere in Form von Mist oder Gülle wird auf die Felder ausgebracht, macht den Boden fruchtbar und dient den Pflanzen als Nahrungsquelle. So befinden sich die im Dünger, Boden und Futter enthaltenen Nährstoffe auf dem Biobauernhof in einem Kreislauf und Gleichgewicht. Die Betriebe halten sich nach bäuerlicher Praxis an die Obergrenze von zwei Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche (GV/ha). Zwei GV entsprechen ungefähr zwei Kühen, zehn schlachtreifen Schweinen oder 666,6 Masthähnchen. Die meisten Landkreise Deutschlands unterschreiten diesen Wert - im Westen und Norden Niedersachsens liegen einige Landkreise allerdings weit über diesem Richtwert: Vechta mit 3,64 GVE/ha, gefolgt von Cloppenburg (3,05) und der Grafschaft Bentheim (2,55). Ich nehme an wir sind uns einig, dass das Gleichgewicht für eine bäuerliche Kreislaufwirtschaft nicht mehr gegeben ist (die entsprechenden Zahlen können Sie dem Bericht der Bundesregierung entnehmen: https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Binnengewaesser/nitratbericht_2016_bf.pdf ).
Bereits vor 28 Jahre ist die EU-Richtlinie zum Schutz des Wassers vor Nitrat in Kraft getreten, vor zehn Jahre erhielt die Bundesregierung das erste Mahnschreiben aus Brüssel und vor mehr als ein Jahr wurde durch den Europäischen Gerichtshofs EuGH ein klares Urteil gesprochen. Andere Nachbarländer haben die Nitrat-Richtlinie aus dem Jahr 1991 umgesetzt. Die Nachbarstaaten rügen deshalb nicht zu Unrecht eine Wettbewerbsverzerrung aufgrund von übermäßiger Gülledüngung in den Hotspots der Schweine- und Geflügelindustrie und intensivem Mineraldüngereinsatz in den Gemüse- und Wein-Intensivzonen. Zu behaupten, dass Pflanzen verhungern würden, wenn Stickstoffdüngung reduziert wird, ist nicht haltbar.
Das Problem des Gülle-Imports, das Sie ansprechen, ist tatsächlich eines: Die Niederlande exportieren unter anderem in die grenznahen deutschen Regionen, vor allem Nordrhein-Westfalen, aber auch nach Niedersachsen. Seit März 2016 ist der Import von Gülle aus den Niederlanden erschwert. In einem Erlass hatte die rot-grüne Landesregierung klargestellt, dass verarbeitete Gülle und Hühnertrockenkot als Abfall einzuordnen sind und damit unter die Abfallverbringungsordnung fallen. Ohne entsprechende Zertifikate darf die Gülle somit nicht über Grenze gebracht, in niedersächsischen Biogasanlagen eingesetzt oder auf niedersächsische Felder aufgebracht werden. Aus der Datenübermittlung der Niederlande ergibt sich für den Zeitraum Juli 2017 bis Juni 2018 eine importierte Menge an Wirtschaftsdüngern nach Niedersachsen von 97.456 t. Gegenüber dem vorherigen Berichtszeitraum hat sich die importierte Menge um rd. 56.000 t deutlich verringert und ist wieder auf dem Niveau der Jahre 2013 bis 2014 angekommen (https://www.lwk-niedersachsen.de/index.cfm/portal/meldeprogrammwirtschaftsduenger/nav/1787/article/34137.html).
Für uns Grüne ist klar:
Rund ein Drittel der Grundwasserkörper ist auf Grund zu hoher Nitratwerte in einem schlechten chemischen Zustand. In einigen Regionen mischen die Wasserversorger bereits heute massiv mit Nitrat belastetes Grundwasser mit sauberem Wasser. Das verursacht hohe Kosten, die am Ende die Bürgerinnen und Bürger per Wasserrechnung zahlen. Das ist nicht fair und nicht gerecht.
Zu Ihrer letzten Frage: "Wie kann es sein, dass die heutige "Massentierhaltung" zum Urheber der Nitratproblematik erhoben wird, während vor gut einhundert Jahren noch etwa doppelt so viele Großvieheinheiten in Deutschland gehalten wurden wie heute?" möchte ich so viel sagen: Sie beziehen sich hier vermutlich auf eine Argumentationshilfe des Deutschen Bauernverbandes (https://media.diemayrei.de/82/635182.pdf). Die Zahlen, die Sie als „vor gut einhundert Jahren“ aufführen, stammen laut dieser Publikation dem „Gebietsstand: Reichsgebiet 1930“ und lassen daher jegliche Vergleichbarkeit vermissen. Es wäre wünschenswert, wenn die so genannte Interessenvertretung der Bauern, der Deutsche Bauernverband, weniger Kraft mit dem Leugnen von Problemen und mehr Kraft für die Lösung derselben verwenden würde.
Mit freundlichen Grüßen,
Friedrich Ostendorff