Frage an Franziska Eichstädt-Bohlig von Claudia N. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Eichstädt- Bohlig,
haben Sie als Bundestagsabgeordnete für die Hartz- Gesetzgebung, insbesondere für Hartz IV und die Einführung von ALG II gestimmt? Wie lauten Ihre Vorschläge, als zukünftiges Mitglied im Abgeordnetenhaus für Die Grünen/ Bündnis 90 dafür zu sorgen, dass Langzeitarbeitslose in Berlin in ihren Wohnungen weiter wohnen können, damit sie und ihre Kinder das gewohnte soziale Umfeld nicht verlassen müssen und einer Segregation in Berlin vorgebeugt wird? Darüber hinaus bin ich interessiert, von Ihnen zu erfahren, wie Sie und Ihre Partei Langzeitarbeitslosen, die in Berlin häufig gut qualifiziert und motiviert sind, adäquate Arbeitsangebote in ausreichendem Maß unterbreiten wollen. Die Losung Ihrer Rot/Grün- Bundesregierung war doch : Fordern und Fördern! Wie stellen Sie sich, nachdem ja erheblich gefordert wurde, Ihren Beitrag der Förderung und den Ihrer Partei in Berlin vor? Was halten Sie vom Vorschlag der Linkspartei eines öffentlich-geförderten Beschäftigungssektors(ÖBS)?
Grüße,
Claudia Nier
Sehr geehrte Frau Nier,
ich habe die Hartz IV Gesetzgebung mit getragen, denn die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war ein notwendiger Schritt. Nicht zuletzt deshalb, weil Hartz IV verdeckte Armut offen gelegt hat. Menschen, die bisher nicht (aus verschämter Armut, oder befürchtetem Unterhaltsrückgriff) zum Sozialamt gegangen sind, sind mit/durch Hartz IV aus der Anonymität getreten. Die Hans-Böckler-Stiftung beziffert diese Zahl auf 40 Prozent der Haushalte, das IAB geht von 47 Prozent aus. Im Schnitt hat sich das Einkommen dieser Haushalte um 18 bis 30 Prozent erhöht.
Dennoch haben die Berliner Bündnisgrünen von Anfang an u.a. folgende Korrekturen für nötig gehalten: die Zumutbarkeitsregelungen; die Anrechnung des PartnerInneneinkommens, also der an die Bedarfsgemeinschaft gekoppelte und nicht individuelle Bezug des Arbeitslosengeldes II, dass NichtleistungsempfängerInnen aus der Förderung der Jobcenter rausfallen, sowie die Ungleichbehandlung verschiedener Formen der Altersvorsorge Wenn das – zugegebenermaßen - handwerklich schlechte Gesetz ein Positives hat, dann sind es die Handlungsmöglichkeiten, die den Ländern und Kommunen offen stehen. Anstatt diese zu nutzen, lässt der rot-rote Senat es zu, dass im vergangenen Jahr 300 Millionen Euro Eingliederungsmittel verfallen. Und kürzt auch noch die eigenen Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik drastisch. Waren die Mittel im Jahr 2003 noch mit 203 Millionen Euro an-gesetzt, sind es im Jahr 2007 nur noch 55,8 Millionen.
Kritisiert die Linkspartei auf Bundesebene die sog. „Ein-Euro-Jobs“ aufs schärfste, sind ge-nau diese in Berlin die mit Abstand am häufigsten eingesetzten arbeitsmarktpolitischen In-strumente, sehr viel seltener kommen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält-nisse (die sog. Entgeltvariante) zum Einsatz.
Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen uns schon seit langem dafür ein, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, u.a. durch die Kapitalisierung von Arbeitslosengeld II, wie das auch bei der Sozialhilfe möglich war. Wir wollen im Rahmen „gemeinwirtschaftlicher Arbeit“ sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen und zwar grundsätzlich in allen Bran-chen und Tätigkeitsfeldern. Vor allem aber soll dadurch gesellschaftlich notwendige Arbeit organisiert werden, die sonst nicht verrichtet wird und brach liegt – ob im Jugendbereich, im Umweltschutz oder auf sozialem und kulturellem Gebiet. Wir wollen auch die Rechte der Betroffenen stärken, u.a. durch Einrichtung von Ombudsstellen, ein diesbezüglicher Antrag von uns wurde von rot-rot abgelehnt!
Bezüglich der Wohnkosten: Im Durchschnitt zahlt Berlin derzeit pro Bedarfsgemeinschaft für Kosten der Unterkunft (KdU) 319 Euro. Zum Vergleich: in Hamburg beträgt die durchschnittliche Zahlung 344 Euro und in Bremen 307 Euro. Damit liegt Berlin in einem durchaus vertretbaren Rahmen. Unklar ist derzeit aber noch, wie viele ALG II EmpfängerInnen in Berlin wegen zu hoher Mietkosten umziehen müssen. Die Prüfungen der Wohnkosten durch die Jobcenter sind noch nicht abgeschlossen. In Berlin sind rund 5.500 Haushalte darüber informiert worden, dass ihre Miete über den Richtsätzen liegt, die die Senatsverwaltung für Soziales in ihrer Ausführungsverordnung „Wohnen“ festgelegt hat. Diese Menschen wurden aufgefordert, ihre Wohnkosten zu senken. Berücksichtigt wird bei der Prüfung auch, ob ein Härtefall vorliegt bzw. ob ein Umzug tatsächlich wirtschaftlicher wäre. Bis Ende Mai mussten in zwölf Fällen Betroffene umziehen, weil ihre Mieten zu hoch war. Die höchsten Mieten werden nach wie vor im sozialen Wohnungsbau gezahlt.
Selbst die Linkspartei.PDS rechnet nicht mehr mit den von ihr befürchteten massenhaften Zwangsumzügen. Deshalb denken wir, dass die in der AV Wohnen getroffenen Regelungen ausreichend sind. Grundsätzlich stellen für uns derartige Umzüge einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre der Menschen dar. Umzüge bedeuten eine immense Umstellung für die Familie, besonders für Kinder. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich deshalb dafür ein, dass ein „Zwangsumzug“ nur eingesetzt werden darf, wenn eine Person eine extrem teure Wohnung bewohnt und eine Vermittlung langfristig unwahrscheinlich erscheint.
Mit freundlichen Grüßen
Franziska Eichstädt-Bohlig