Frage an Franziska Eichstädt-Bohlig von Stefan K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Eichstädt-Bohlig,
beschwert sich in einer Talkshow ein Redner über die hohe Ausländerkriminalität, wird er von Vertretern Ihrer Partei mit dem genialen Argument abgewürgt, er habe die Bereicherung nicht verstanden, die uns die Zuwanderung gebracht habe.Das verstehe ich nicht und frage daher nach: inwieweit sind wir beispielsweise durch die aus dem Libanon stammenden Kofferbomber, die hier Sozialleistungen in großem Umfang bezogen haben, bereichert?
Ich stimme Ihnen zu, dass man entschieden gegen Rassismus vorgehen soll.Meine zweite Frage: wie wollen Sie den arabischen Rassisten, die gezielt Deutsche überfallen, da diese in den Augen der Araber minderwertig sind, weil sie kein Kopftuch tragen, das Handwerk legen? Sind Sie überhaupt daran interessiert, auch diese Form rassistischer Übergriffe zu bekämpfen, oder soll sich der Kampf gegen Rassismus auf Rechts beschränken?
Sehr geehrter Herr Koslowski,
Terroristen sind für Grüne selbstverständlich ebenso wenig eine „Bereicherung“ wie einheimische rechte Schläger, die Menschen terrorisieren, die nicht in ihr Weltbild passen. Unsere Gesetze gelten für alle und wer dagegen verstößt, soll es in gleicher Weise mit Polizei und Justiz zu tun bekommen, ganz egal welcher Herkunft die Person ist. Gleiches Recht und die Prinzipien des Grundgesetzes sind für uns die unverzichtbare Basis des Zusammenlebens.
Pauschale Urteile über einzelne Bevölkerungsgruppen helfen nicht weiter, wenn es um vernünftige Integrations- und Kriminalpolitik geht. Wir wollen bestehende Probleme weder leugnen noch aufbauschen, sondern Lösungen finden. Das erfordert zunächst einmal einen nüchternen Blick auf die Fakten:
Die überwältigende Mehrheit der BerlinerInnen nichtdeutscher Herkunft begeht keine Straftaten und hat schon gar nichts mit Terrorismus am Hut. Von muslimischen Vereinen in Deutschland wird Terrorismus klar verurteilt.
In der Tat weist die polizeiliche Kriminalstatistik einen überproportional hohen Teil nichtdeutscher Straftäter aus. Es ist aber nicht das „Ausländisch-Sein“, das dafür die Ursache ist. Die kriminologische Forschung zeigt, dass zwischen Deutschen und Ausländern mit vergleichbaren Lebenssituationen kein Unterschied in Sachen Straffälligkeit besteht. Allerdings ist die soziale Situation vieler MigrantInnen eine andere als die der Mehrheit der Deutschen. In Berlin sind Nichtdeutsche im Schnitt doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und bleiben dreimal häufiger ohne Ausbildungsplatz als der Durchschnitt. Über ein Viertel der nichtdeutschen SchülerInnen verlassen in Berlin die Schule ohne Abschluss. Junge Männer, die für sich keine berufliche Zukunftsperspektive sehen, sind offenbar empfänglicher für menschenfeindliche Ideologien. Dem müssen wir gezielt entgegentreten. Ebenso müssen wir von Eltern fordern, ihre Kinder gewaltfrei zu erziehen, und sie dabei unterstützen. Studien zeigen, dass Gewalterfahrungen in der Familie erheblich das Risiko steigern, selbst gewalttätig zu werden.
Damit Sie mich nicht missverstehen: Lebensumstände können individuelle Straftaten nicht entschuldigen, schon gar keine Gewaltverbrechen. Aber wenn wir politisch wirksam gegensteuern wollen, müssen wir genau hinsehen, welche Faktoren Straftaten wahrscheinlicher machen und wo wir deswegen gegensteuern müssen. Das bedeutet für uns: gute Integrations-, Bildungs- und Geschlechterpolitik sind auch wichtige Hebel zur Prävention von Straftaten.
Probleme, die bei bestimmten Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft gehäuft auftreten, wollen wir entgegenwirken – nicht gegen die MigrantInnen, sondern mit ihnen. Gemeinsam mit ihren Organisationen lässt sich viel erreichen. Bedenken Sie z.B. den Rückgang von Gewalt beim 1. Mai in Kreuzberg – das ist auch auf das Engagement türkischer und arabischer Jugendlicher zurückzuführen, die beim Maifest mitgewirkt haben. Dieser Ansatz ist auf viele andere Gebiete übertragbar: Gemeinsam mit den 23.000 nichtdeutschen Selbständigen in Berlin (die ca. 70.000 Arbeitsplätze geschaffen haben) können wir mehr Ausbildungsplätze schaffen. Eltern wollen wir stärker in die Kitas und Schulen beteiligen und an der Bildung beteiligen. Polizei, Jugendarbeit und Moscheen sollten in den Kiezen miteinander kooperieren. Frauen und Mädchen wissen am besten, wie es um ihre Geschlechtergleichheit in ihren jeweiligen ethnischen Communities bestellt ist – und was zu tun ist, muss, um ihre Situation zu verbessern. Sie wollen wir besonders stärken. Die Schule muss über den gemeinsamen Ethik-Unterricht hinaus ein Ort sein, in der demokratische Kultur erlernt wird. Die Anerkennung von unteilbarer Menschenwürde, universalen Menschenrechten und Gleichberechtung sind gerade in der multikulturellen Gesellschaft unverzichtbar.
Das bringt mich noch kurz zu ihrer zweiten Frage: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit oder Lesben- und Schwulenfeindlichkeit erteilen Grüne eine klare Absage, egal von welcher Seite. Ich teile aber nicht die Einschätzung, dass „die Araber“ „die Deutschen“ als minderwertig ansehen und deswegen gezielt angreifen. Ich glaube, Eingewanderte wie Alteingesessene müssen weg dem Wahrnehmungsmuster „wir“ gegen „die“. Wir alle leben in einer gemeinsamen Stadt, haben gemeinsame Probleme, die wir gemeinsam meistern müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Franziska Eichstädt-Bohlig