Frage an Franziska Eichstädt-Bohlig von Jörg B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Frau E.-Bohling, wie sollte man nach Ihrer Meinung mit kriminellen Kindern und Jugendlichen umgehen? Was halten Sie von einer früheren Strafmündigkeit?
Sehr geehrter Herr Bett,
Grundsätzlich: Um Straftaten von Jugendlichen oder sogar Kindern entgegenzuwirken setzen wir eher auf Erziehung als auf Strafe. Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit löst unsere Probleme in diesem Bereich nicht, ich lehne dies deshalb genauso ab, wie die von Seiten der CDU immer wieder erhobenen Forderung nach geschlossener Heimunterbringung. Um Kinder- und Jugendkriminalität wirksam verhindern zu können, bedarf es aus meiner Sicht anderer Instrumente.
Gewalt gegen Kinder ist nicht nur schädlich und unmenschlich, sie schlägt auch auf die Gesellschaft zurück. Studien über Jugendgewalt belegen: Kinder, die Opfer von Gewalt werden, neigen später selbst zu Gewalttätigkeit. Die meisten Gewalt- und Sexualverbrecher waren als Kinder selbst Opfer brutaler Gewalt. Wenn wir Kinder besser vor Gewalt schützen, brechen wir diese Spirale der Gewalt auf. Deshalb war es ein längst überfälliger Schritt, Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung zuzubilligen. Sie werden endlich nicht mehr als zu schützendes Objekt betrachtet, sondern sind als Subjekte mit eigenständigen Rechten zu respektieren.
Kinder und Jugendliche brauchen Chancen, Zukunftsperspektiven und emotionalen Rückhalt. Eltern brauchen Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder. Wichtig sind deshalb in erster Linie präventive Maßnahmen, von Familienbildung und Erziehungsberatung, über gute Kindertagesstätten und Schulen, ausreichend Freizeitangebote bis zu Familienhilfen. Wegen der massiven Kürzungen im Bereich der Jugendhilfe durch Rot-Rot stehen diese Hilfen leider oft nicht rechtzeitig und in der erforderlichen Intensität zur Verfügung.
Es gibt in Berlin eine Reihe von guten Ansätzen. Kinder- und Jugendkriminalität effektiver zu begegnen, die verbessert und ausgebaut werden sollten. Ambulante Maßnahmen für straffällige Jugendliche wie soziale Trainingskurse, Freizeitarbeiten, Betreuungsweisungen oder der Täter-Opfer-Ausgleich sind wirkungsvoller, preiswerter und flexibler im Vergleich zu stationären Maßnahmen wie Jugendarrest. Diese dringend benötigte Präventionsarbeit findet aufgrund der massiven Kürzungen des Senats im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe kaum noch statt. Wir wollen die Zusammenarbeit von Justiz, Polizei und Jugendarbeit weiter verbessern und dazu beitragen, dass erzieherische Maßnahmen schneller greifen. Dazu könnte eine bessere Vernetzung der Jugendgerichte mit der Jugendarbeit in den Bezirken beitragen. Das wollen wir in einem Modellprojekt „Jugendgericht im Kiez“ erproben.
Zu der relativ kleinen Gruppe von strafunmündigen Mehrfach- und Intensivtätern noch folgende Bemerkung: Hier darf von Polizei und Justiz nicht abgewartet werden bis sie 14 Jahre alt und damit strafmündig werden. Polizei und Justiz müssen eng mit den Jugendämtern und Schulen zusammenarbeiten, um rechtzeitig mit erzieherischen Maßnahmen und familienunterstützenden Hilfen zu intervenieren. Die Strafunmündigkeit von Kindern bedeutet nicht, dass nicht interveniert werden kann. Das ist dann allerdings kein Fall für die Strafjustiz, sondern für die Jugendhilfe. Notfalls muss den Eltern das Sorgerecht entzogen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Franziska Eichstädt-Bohlig