Frage an Franziska Brantner von Michael M. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Brantner,
Sie gehören dem Bundestag an, mithin jenem Organ, das in diesem Land für die Verabschiedung von Gesetzen zuständig ist. An diesem Mittwoch hat die Bundesregierung wieder einmal gezeigt, dass sie diese Kompetenzverteilung weiter ignoriert und lieber über Verordnungen massiv in die Wirtschaft und die Grundrechte der Bürger eingreifen möchte, statt Lösungen durch vom Volk gewählte Vertreter im Parlament diskutieren und verabschieden zu lassen. Mag im Frühjahr aufgrund der unerwarteten Corona-Pandemie eine Gesetzgebung per Verordnung gerechtfertigt gewesen sein, so hätte man aber bzgl. der zweiten Welle den ganzen Sommer über Zeit gehabt, entsprechende Gesetze zu diskutieren. Selbst der September oder Oktober hätte dafür gereicht. Schließlich hat diese Regierung schon mehrfach bewiesen, dass sie wichtige Gesetze innerhalb weniger Tage durch den Bundestag bringen kann. Wie stehen Sie zu diesem Vorgehen der Bundesregierung und wollen Sie dagegen etwas unternehmen?
Mit freundlichen Grüßen
Michael Mayer
Sehr geehrter Herr Mayer,
bitte entschuldigen Sie die späte Antwort. Gerne lege ich Ihnen die Position der Grünen Bundestagsfraktion dar.
Die Maßnahmen stützten sich rechtlich vor allem auf die relativ allgemein gehaltene Generalklausel des § 28 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und werden dann von den Ländern in ihren jeweiligen Infektionsschutzverordnungen konkretisiert. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat diese Praxis kritisiert und für eine stärkere Einbindung des Parlaments in der Corona-Krise gekämpft. Unsere Kernforderung: es braucht eine vom Parlament beschlossene konkretere gesetzliche Grundlage und klare Voraussetzungen für mögliche Grundrechtseingriffe. Ich habe beispielsweise hierzu dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben, das sie hier nachlesen können: https://www.deutschlandfunk.de/franziska-brantner-buendnis-90-die-gruenen-wir-muessen.868.de.html?dram:article_id=485961
Auch viele Gerichte teilen unsere Auffassung, dass die Landesverordnungen zum Infektionsschutz eine ausreichende, vom Parlament beschlossene Grundlage brauchen. Diese bundesgesetzliche Grundlage wird nun mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz geschaffen. Wir als Parlament setzen damit einen Rahmen für das Handeln der Regierungen.
Weiterhin ist im Gesetz geregelt, dass Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen wie schon im Frühjahr einen finanziellen Ausgleich bekommen, wenn sie infolge der Pandemie und zur Freihaltung von Intensivbetten auf Behandlungen verzichten. Besonders gefährdete Menschen erhalten zudem einen Anspruch auf kostengünstige Versorgung mit Masken eines höheren Schutzgrades (FFP2).
Mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz wird die Bekämpfung der Pandemie demokratisch besser legitimiert und bekommt eine solide gesetzliche Grundlage. Wir können die Pandemie nur wirkungsvoll bekämpfen, wenn Infektionsschutzmaßnahmen einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Die Chancen dafür verbessert das vorliegende Gesetz erheblich.
Mit dem Gesetz gibt es jetzt Leitplanken, unter welchen Bedingungen in Grundrechte zur Sicherung der Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitswesens eingegriffen werden darf und wie lange. Das Parlament beschreibt damit den Rahmen, innerhalb dessen Bundesregierung und Landesregierungen agieren können. Damit sind unsere Grundrechte besser geschützt. Zugleich ist mit diesem Gesetz weiterhin zügiges Reagieren auf das Infektionsgeschehen möglich.
Am ursprünglichen Entwurf der Koalition hatten auch wir viele Kritikpunkte und haben diese öffentlich diskutiert und in das demokratische Verfahren eingebracht. In der öffentlichen Sachverständigenanhörung wurde unsere Kritik von vielen Sachverständigen unterstützt. Dem deutlich verbesserten Gesetz konnten wir deshalb zustimmen.
Was wurde mit dem Gesetz und unseren Verhandlungen erreicht?
- Die epidemische Lage von nationaler Tragweite wird gesetzlich definiert. Während ihrer Dauer muss die Bundesre-gierung dem Bundestag nun regelmäßig berichten.
- Die Rechtsverordnungen der Länder müssen begründet werden und gelten grundsätzlich nur für 4 Wochen.
- Der Zweck der Corona-Maßnahmen wird konkretisiert: Sie müssen dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens – erhalten.
- Generelle Ausgangsbeschränkungen können nicht verhängt werden, sondern nur der Ausgang zu bestimmten Zeiten oder Zwecken beschränkt werden, wenn die pandemische Lage das erfordert.
- Beschränkungen und Untersagungen von Kulturveranstaltungen werden nicht mehr einfach nur neben Freizeitver-anstaltungen aufgezählt. Damit wird dem besonderen verfassungsrechtlichen Rang von Kunst und Kultur Rechnung getragen.
- Besuchsbeschränkungen in Alten-/ Pflegeheimen, Geburtshilfestationen oder Krankenhäusern für enge Familien-angehörige dürfen nicht zur Isolation der Menschen führen. Ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewähr-leistet bleiben.
- Die Untersagung von Versammlungen und Zusammenkünften, die unter dem Schutz der Religionsfreiheit stehen, ist nur unter ganz engen Voraussetzungen zulässig.
- Daten, die zur Kontaktnachverfolgung erhoben wurden, dürfen nur noch für diesen Zweck genutzt und nicht mehr weitergegeben werden.
- Wenn Bundesländer wegen lokal fortdauernden Infektionsgeschehen über die epidemische Lage von nationaler Tragweite hinaus Maßnahmen aus § 28a IfSG-E ergreifen, muss das durch das Landesparlament beschlossen werden.
- Für Reha-Einrichtungen wird steuerfinanziert ein finanzieller Ausgleich gezahlt, wenn sie infolge der Pandemie we-niger Behandlungen vornehmen können.
Besser wäre es gewesen, Risikostufen zu definieren und die Maßnahmen diesen zuzuordnen. Denn damit könnten sich Bevölkerung und Unternehmen möglichst langfristig darauf einstellen, welche Maßnahmen bei welcher Inzidenz erlassen werden. Bislang wird zwischen „unterstützenden“, „breit angelegten“ und „umfassenden“ Maßnahmen unterschieden, die an den jeweiligen Inzidenzwerten anknüpfen.
Wir sprechen uns seit langem für die Einrichtung eines interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Pandemierates aus, der mit Empfehlungen eine Strategie für die kommenden Monate und entwickeln hilft. Die Chance, ein solches Gremium nun einzurichten und gesetzlich zu implementieren, hat die Koalition bei diesem Gesetz leider nicht genutzt.
Außerdem müssen in Zukunft die Belange von Kindern stärker berücksichtigt werden. Ihnen soll auch in Hotspots mit vielen Infizierten ein Mindestmaßes von Kontakten mit anderen Kindern ermöglich und auch eine Betreuung in Kita oder Schule garantiert werden, auch wenn diese geschlossen werden müssen.
Wir werden den Prozess weiter kritisch begleiten. Hierzu haben meine Kolleg*innen etwa diese Vorschläge gemacht, um eine vierte Welle zu vermeiden: https://www.gruene-bundestag.de/themen/corona-krise/vierte-corona-welle-verhindern
Mit besten Grüßen
Franziska Brantner