Frage an Franz Thönnes von Gerd B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Thönnes,
auf Ihre Antwort vom 3.3.08 möchte ich Ihnen mitteilen, das ich mich persönlich nicht genötigt sah in die FZR der ehem. DDR einzutreten, sondern ich wurde unter Druck gestellt und fast gezwungen 1982 der FZR beizutreten. Und so ging es Tausenden.
wenn Sie sagen, der Solidargemeinschaft ist es nicht zumutbar, diese Lücke in der Altersversorgung zu schließen, dann frage ich Sie, der Solidargemeinschaft wird andersets zugemutet, für ehemalige Stasi Offiziere, Stasi Mitarbeiter, NVA und Polizei Offiziere, u.a. ehemaligen staatsnahe Personen Zusatzrenten in Größenordnungen, incl. Nachzahlungen, aufzubringen ? Wieso sind denn bei diesen Leuten keine Stichtage eingeschoben worden ? Bei mir z.B. wirkt der Stichtag FRG und der Stichtag AAÜG , Intelligenzrente, da habe ich mit meiner Flucht aus der DDR meine Rente wesentlich geschmählert. Ist das sozial gerecht ?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüße Gerd Bartmuß
Sehr geehrter Herr Bartmuß,
vielen Dank für Ihre Frage die Sie mir über Abgeordnetenwatch.de gestellt haben.
Die angeführten Veränderungen in Ihrer Rentenberechnung durch die Ablösung des Fremdrentengesetzes (FRG) als rentenrechtlicher Bewertungsmaßstab für ostdeutsche Erwerbsbiographien im Rahmen der Rentenüberleitung durch das gesamtdeutsche Rentenrecht beruhen offenbar darauf, dass Sie zu DDR-Zeiten für das oberhalb von 600 Mark liegende Einkommen für Zeiten ab März 1971 keine bzw. ab 1982 keine höchstmöglichen Beiträge in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) entrichtet haben, obwohl für Sie keine konkrete Aussicht auf die Erteilung einer Versorgungszusage zu einem Zusatzversorgungssystem der DDR bestand. Damit hätten Sie nach dem Rentenrecht der DDR nur einen Anspruch auf eine Rente aus der Sozialpflichtversicherung der DDR und eine geringe Rente aus der FZR in Aussicht gehabt.
Daraus, dass unterbliebene bzw. nur geringe Beitragszahlungen zur FZR für die rentenrechtliche Bewertung einer DDR-Erwerbsbiographie auf der Grundlage des FRG ohne Bedeutung waren, ergibt sich jedoch keine schützenswerte Rechtsposition, die der Gesetzgeber uneingeschränkt hätte aufrechterhalten müssen. Angesichts der dramatischen Umwälzungen und der zu bewältigenden Aufgaben bei der Herstellung der deutschen Einheit und eines einheitlichen Rentenrechts hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, die Fiktionen des FRG zugunsten der Regelungen aufzugeben, die sich an den tatsächlichen Verdiensten und Beiträgen orientieren. Er hat damit Übersiedler auch nicht schlechter gestellt als ehemalige DDR-Bürger, sondern es gelten für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte aus der bis 1989 in der DDR zurückgelegten Erwerbsbiographie dieselben rentenrechtlichen Regeln wie bei anderen DDR-Bürgern.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der bundesdeutsche Gesetzgeber die mit dem FRG in Aussicht gestellte rentenrechtliche Berücksichtigung und Bewertung der DDR-Erwerbsbiographien im gesamtdeutschen Rentenrecht neu ordnen durfte. Der Gesetzgeber konnte sich dabei stärker an den tatsächlichen Gegebenheiten (den individuellen Verdiensten) und ebenso an beitragsbezogenen Kriterien - insbesondere auch am Beitritt zur FZR - ausrichten, ohne dabei in durch Artikel 14 Grundgesetz geschützte Rechtspositionen einzugreifen. Die Wiedervereinigung und der im Einigungsvertrag bekundete Wille, ein gesamtdeutsches Rentenrecht zu schaffen, haben deshalb dazu geführt, dass die Rentenanwartschaften der ab 1937 geborenen ostdeutschen Übersiedler grundsätzlich nach ihrer tatsächlichen DDR-Erwerbsbiographie zu beurteilen sind.
Für die Übersiedler mit tatsächlich erteilten Zusagen zu einem Zusatzversorgungssystem der DDR gilt dies sogar völlig unabhängig vom Geburtsjahr. Alle in die Bundesrepublik (alt) bzw. in die alten Länder übergesiedelten Personen, die zu DDR-Zeiten eine Versorgungszusage erhalten haben, werden auch dann nicht mehr vom FRG erfasst, wenn sie vor dem 1. Januar 1937 geboren sind. Sie erhalten eine Rentenberechnung unter Berücksichtigung des AAÜG. Auch bei denjenigen, die zu DDR-Zeiten eine wirksame Versorgungszusage erhielten, welche die DDR anlässlich der Flucht oder Ausreise in die Bundesrepublik zurückgenommen hatte, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten und das AAÜG findet - völlig unabhängig von einem Stichtag (30. Juni 1990) - Anwendung. Das AAÜG sieht somit eine Gleichbehandlung von Übersiedlern mit zu DDR-Zeiten erteilter Versorgungszusage und in der DDR verbliebenen Beschäftigten mit erteilter Versorgungszusage vor.
Die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommende Kritik an einer unterschiedlichen Anwendung des AAÜG auf Übersiedler und in der DDR verbliebene Beschäftigte knüpft an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an. Nach dieser Rechtsprechung kann unter ganz besonderen Voraussetzungen eine Rentenberechnung nach dem AAÜG auch dann erfolgen, wenn der Versicherte keine nach DDR-Maßstäben rechtsgültige und wirksame Versorgungszusage erhalten hat, sondern nach den eigens vom Bundessozialgericht entwickelten Kriterien entsprechend den abstrakt generellen Voraussetzungen der Versorgungsordnung der technischen Intelligenz zum einbeziehungsberechtigten Personenkreis gehörte. Diese Rechtsprechung findet auch auf diejenigen Personen Anwendung, die ohne ausdrücklich erteilte Versorgungszusage in die Bundesrepublik (alt) bzw. in die alten Länder übergesiedelt sind.
Eine entscheidende Voraussetzung (neben den in der Versorgungsordnung aufgezählten Berufsabschlüssen und Betriebsformen) für die Anwendung des AAÜG ist nach den Vorgaben des Bundessozialgerichts dabei, dass das den potentiellen Zugang zur Zusatzversorgung eröffnende Beschäftigungsverhältnis zum Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme noch am 30. Juni 1990 Bestand hatte (Stichtagserfordernis). Dieser Stichtag ist Bestandteil der vom Bundessozialgericht entwickelten Auslegung des AAÜG auf Ingenieure ohne Versorgungszusage und nicht vom Gesetzgeber geregelt. Nur in diesem Zusammenhang kommt dem Stichtag „30. Juni 1990“, an dem die Voraussetzungen für eine „Zugehörigkeit“ zum Versorgungssystem ohne ausdrückliche Versorgungszusage vorgelegen haben müssen, eine rechtliche Bedeutung zu. Nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers wäre dieser Personenkreis schon mangels ausdrücklich erteilter Versorgungszusage von der Anwendung des AAÜG ausgeschlossen.
Von diesem Stichtag sind daher nicht nur Flüchtlinge und Übersiedler betroffen. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts ist für alle diejenigen die nachträgliche Zuordnung zum AAÜG ausgeschlossen, bei denen nicht die Schließung des Versorgungssystems zum 1. Juli 1990 die Ursache für die Unmöglichkeit der Erteilung einer Versorgungsurkunde gesetzt hat, sondern eine Versorgungszusage wegen Aufgabe der Beschäftigung ohnehin nicht mehr möglich gewesen wäre. Die Gründe und der Zeitpunkt der Beschäftigungsaufgabe oder des Beschäftigungswechsels sind grundsätzlich unbeachtlich. Für einen unübersehbar großen Personenkreis hoch qualifizierter Beschäftigter war also nicht die Schließung der Versorgungssysteme zum 1. Juli 1990 kausal für die fehlende Versorgungszusage, sondern der durch die geschichtlichen Ereignisse und persönlichen Lebensentscheidungen eingeschlagene berufliche Lebensweg und insbesondere das von der Rechtsordnung der DDR zu verantwortende willkürliche System der Verleihung von Intelligenzrentenzusagen, auf die es - trotz der Versorgungsordnung - keinen an rechtstaatlichen Grundsätzen zu messenden Anspruch gab. Für Tausende - nicht übergesiedelter - Ingenieure, deren Betrieb vor dem 30. Juni 1990 privatisiert wurde, die vor dem 30. Juni 1990 den Betrieb gewechselt haben, oder sich zwischenzeitlich selbständig gemacht hatten, ist der Stichtag ebenso einschlägig. Die komplexen Kriterien der Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des AAÜG bei Fehlen einer ausdrücklichen Versorgungszusage lassen sich somit im Ergebnis nicht auf eine Gruppenbildung von Übersiedlern einerseits und in der DDR verbliebenen Beschäftigten andererseits reduzieren.
Bei der Bewertung dieser Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass jeder Versicherte in der ehemaligen DDR, der keine Versorgungszusage für eine „Intelligenzrente“ hatte - also die Mehrheit der Erwerbstätigen auch bei hoher beruflicher Qualifikation - sein Einkommen in der FZR versichern musste, um eine Altersversorgung zu erreichen, die über der niedrigen Rente aus der Sozialversicherung lag. Die Systematik der Rentenüberleitung sorgt dafür, dass der im DDR-Recht bei gleichem Einkommen bestehende Unterschied in der Altersversorgung zwischen Versicherten mit akademischem Berufsabschluss mit Versorgungszusage und denjenigen ohne Versorgungszusage so nicht weiter besteht, wenn der Versicherte ohne Versorgungszusage sein Einkommen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten in der FZR versichert hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 26. Oktober 2005 (1 BvR 1921/04) sowohl den „Stichtag“ bestätigt, als auch die Bedeutung der FZR für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung der DDR hinaus hervorgehoben. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bestand deshalb keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung, den Personenkreis ohne Versorgungszusage dem Personenkreis gleichzustellen, dem eine zu DDR-Zeiten zunächst erteilte Versorgungszusage wieder entzogen worden ist.
Ihre Kritik an Zusatzrenten für ehemalige Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS) und andere staatsnahe Personen beruht möglicherweise auf der irrtümlichen Annahme, dass diesen neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eigenständige Zusatz- und Sonderversorgungsleistungen gezahlt werden. Dies ist jedoch nicht der Fall, die Ansprüche und Anwartschaften der ehemals in der DDR Zusatz- und Sonderversorgten sind in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden und aus den in der DDR gemachten Versorgungszusagen können neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung keine eigenständigen Versorgungsleistungen beansprucht werden.
Auch für in die gesetzliche Rentenversicherung überführte Ansprüche und Anwartschaften aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR werden für die Berechnung der gesetzlichen Rente grundsätzlich die damaligen versicherten Verdienste bis zur Beitragsbemessungsgrenze zugrunde gelegt. Ausnahmen, die darauf abzielen, für einen Teil der ehemals Zusatz- und Sonderversorgten das berücksichtigungsfähige Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze zu begrenzen, sehen die gesetzlichen Regelungen für ehemalige Angehörige des MfS/AfNS und besonders herausgehobene Funktionsträger, insbesondere im Parteiapparat der SED und der Regierung der DDR, vor. Bei diesen Personenkreisen werden die Verdienste nur bis zur Höhe des Durchschnittseinkommens rentenrechtlich wirksam.
Im Ergebnis erhalten die „ehemaligen staatsnahen Personen“ keine höheren Renten als die übrigen Beschäftigten, die Beiträge zur Sozialpflichtversicherung und zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung geleistet haben.
Mit freundlichen Grüßen
Franz Thönnes