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Frage von Lothar G. •

Frage an Franz Thönnes von Lothar G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Thönnes,

Sie sind Parlamentarischer Staatssekretär im BMAS und dort zuständig u.a. für das Thema SGB VI, Sie sind außerdem der Abgeordnete meines Wahlkreises. Bereits im Jahre 2004 habe ich mich an Sie um Auskunft gewandt, warum den seit langem in das bundesdeutsche Rentensystem eingegliederten ehemaligen Übersiedlern die Anwartschaften ohne Aufhebungsbescheid, ohne jegliche Mitteilung, gelöscht wurden. Ich habe Sie damals auf den Artikel 20 (7) des Staatsvertrages vom 18.05.1990 hingewiesen, in dem klar ausgesagt wird, dass alle Übersiedler vor dem 19.05.1990 Rente nach FRG erhalten. Sie antworteten per Brief am 17.11.2004: „Mit der Wiedervereinigung Deutschlands sind die Regelungen des Staatsvertrages und des Gesetzes zum Staatsvertrag im Wesentlichen hinfällig geworden ...“ und weiter: „Schon aus der zeitlichen Abfolge wird meines Erachtens deutlich, dass der von Ihnen zitierte Artikel 20 Absatz 7 des Staatsvertrages für die Beurteilung Ihrer Rentenangelegenheit zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr relevant ist ...“.

In der "Übersicht über das Sozialrecht", Ausgabe 2006, Rechtsstand 1.1.2006, herausgegeben vom BMAS, finden Sie unter der Überschrift „Fremdrentenrecht“ folgenden Text „Die rentenrechtlichen Ansprüche ... derjenigen, die vor Öffnung der deutsch-deutschen Grenze aus der DDR in das alte Bundesgebiet übergesiedelt sind, sind im Fremdrentengesetz geregelt. ...“ Das ist exakt die Aussage des Staatsvertrages vom 18.05.1990. Der Text ist unverändert seit wenigstens 2002, Sie müssen das bei Ihrer Antwort an mich im Jahre 2004 gekannt haben.

Der Rentenbetrug an DDR-Übersiedlern ist im abgeordnetenwatch eines der dominierenden Themen. Es gibt inzwischen eine Reihe von Abgeordneten, die bestätigen, dass hier erkennbar Unrecht geschehen ist und dass dies nicht Wille des Gesetzgebers war.

Welchen Weg wird Ihr Ministerium wann gehen, um Recht wiederherzustellen?

Mit freundlichen Grüßen

Lothar Gebauer

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Gebauer,

vielen Dank für Ihre Frage die Sie mir über Abgeordnetenwatch.de gestellt haben.

Bereits 2004 hatten wir zu dem angesprochenen Sachverhalt einen Schriftwechsel. In Ihrer Frage zitieren Sie aus dem Buch des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) „Übersicht über das Sozialrecht 2006“ den Beginn des Absatzes „Fremdrentenrecht“ und stellen fest, die dort getroffene Aussage stände im Widerspruch zu meinen Ant­wortschreiben aus dem Jahre 2004.

Dies ist nicht so. Das jährlich vom BMAS herausgegebene Buch soll dem Benutzer - wie auch der Name sagt - eine Übersicht über das Sozialrecht in Deutschland vermitteln. Inhaltlich werden in 27 Kapiteln die Bereiche Grundsiche­rung für Arbeitssuchende, Arbeitsförderung, Krankenversicherung, Rentenversiche­rung, Rehabilitation behinderter Menschen, Kinder- und Jugendhilfe, Unfallversiche­rung, Pflegeversicherung, Altersversorgung, Sozialhilfe, Internationale Soziale Siche­rung, Sozialgerichtsbarkeit usw. dargestellt. Jedes dieser Fachgebiete ist für sich gesehen sehr umfangreich und es ist nicht möglich, im Rahmen einer solchen „Über­sicht“ Einzelfälle und Details zu erwähnen und zu erläutern. Keines­falls ersetzt oder ergänzt die „Übersicht über das Sozialrecht“ als allgemeine Be­schreibung die bestehenden gesetzlichen Vorschriften.

Der von Ihnen zitierte Satz ist durchaus zutreffend. Für diejenigen, die vor der Grenzöffnung in das alte Bundesgebiet übergesiedelt sind, ist das Fremdrentenrecht anzuwenden. Allerdings gilt hier die Einschränkung, dass dabei auch der Rentenbe­ginn vor der Grenzöffnung liegen musste. Ergibt sich der Beginn der Rente nach dem 18. Mai 1990, so werden auch für Übersiedler bei der Rentenberechnung die tat­sächlichen Versicherungszeiten in der ehemaligen DDR zugrunde gelegt und es er­folgt keine Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG). Ich weiß, dass dieses Thema viele Menschen bewegt. Basierend auf meinen Schreiben aus dem Jahr 2004, gehe ich daher hierauf an dieser Stelle nochmals ausführlich ein.

Mit dem Staatsvertrag und dem Gesetz zum Staatsvertrag wurde die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik geschaffen. Da zu diesem Zeitpunkt noch zwei Staaten bestanden, wurde in Artikel 20 des Staatsvertrages bestimmt, wie es renten­rechtlich zu beurteilen ist, wenn Personen nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnli­chen Aufenthalt von einem Staat in den anderen verlegen. Mit Artikel 23 des Geset­zes zum Staatsvertrag wurde der Ausschluss der Anwendung des Fremdrenten­rechts geregelt. Dies geschah - ebenfalls im Hinblick auf zwei bestehende Staaten - zunächst nur für rentenrechtliche Zeiten nach dem 18. Mai 1990 im Gebiet der DDR (Absatz 1) und für Zeiten bis zum 18. Mai 1990 nur für Personen, deren gewöhnlicher Aufenthalt am 18. Mai 1990 außerhalb der Bundesrepublik Deutschland lag (Absatz 2).

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands sind die Regelungen des Staatsvertrages und des Gesetzes zum Staatsvertrag im Wesentlichen hinfällig geworden, da nun­mehr ein einheitliches gesamtdeutsches Recht notwendig war. Mit dem Einigungs­vertragsgesetz vom 23. September 1990 wurde daher bestimmt, dass die Einzelhei­ten der Überleitung u. a. des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Rentenversiche­rung - SGB VI) in einem weiteren Bundesgesetz zu regeln sind (Artikel 30 Absatz 5).

Dieser Maßgabe wurde mit dem Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der ge­setzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) und dem Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Ergän­zungsgesetz - Rü-ErgG) entsprochen. Seit dem 1. Januar 1992 gilt im gesamten Bundesgebiet einheitlich das Rentenrecht des SGB VI.

Frühere Bescheide, die außerhalb einer Rentenbewilligung aufgrund der Versiche­rungsunterlagen-Verordnung oder des Fremdrentenrechts Feststellungen getroffen haben, sind nach Artikel 38 RÜG daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den zum Zeit­punkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des Sechsten Buches Sozialge­setzbuch und des Fremdrentenrechts übereinstimmen. Mit Artikel 14 des Rü-ErgG wurde dies ergänzt, so dass der Feststellungsbescheid im Rentenbescheid mit Wir­kung für die Vergangenheit aufzuheben ist und zwar ohne Rücksicht auf die Voraus­setzungen der §§ 24 und 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch.

Die Renten im Gebiet der neuen Bundes­länder werden vom 1. Januar 1992 an nach den gleichen Grundsätzen be­rechnet wie die Renten im bisherigen Bundesgebiet. Die Bestimmungen des RÜG enthalten eine Reihe von Sonderregelungen, die das Inkrafttreten des SGB VI in den neuen Bundes­ländern ermöglichten.

Die Rentenberechnung erfolgt dabei - wie in den alten Bundesländern auch - auf der Grundlage des gesamten Versicherungslebens von der Schulentlassung bzw. der Vollen­dung des 17. Lebensjahres bis zum Rentenbeginn. Die Rentenhöhe ist vor allem abhän­gig von der Dauer der versicherungspflichtigen Tätigkeit und der Höhe der versicherten Entgelte. Ausgehend von diesem Grundprinzip hat sich der Gesetz­geber bei der Ver­abschiedung des Renten-Überleitungsgesetzes dafür entschieden, auch bei der Bewer­tung von in den neuen Bundesländern zurückgelegten Beitrags­zeiten bei der Renten­berechnung nach den Vorschriften des SGB VI grundsätzlich auf das durch Beiträge - einschließlich der Beiträge zur FZR - versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkom­men abzustellen. Diese Entscheidung wurde unter Berücksichtigung der grund­sätzli­chen Unterschiede der beiden Rentensysteme getroffen, die im Übrigen auch andere Sonderregelungen bei der Rentenüberleitung notwendig machte.

Die Berücksichtigung der in der FZR versicherten Arbeitsentgelte trägt den berech­tigten Interessen von weit über 80 Prozent aller Beschäftigten und Selbständigen in den neuen Bundesländern Rechnung, die sich unter Verzicht auf 10 bzw. 20 % ihres monatlichen Einkommens über 600 Mark für eine zusätzliche Alterssicherung ent­schieden haben. Zu beachten ist dabei vor allem, dass sich die meisten - auch dem politischen System der DDR ablehnend gegenüberstehenden Personen - zu einer Alterssicherung in der FZR genötigt sahen, weil die Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialpflichtversicherung unabhängig von der allgemeinen Lohn- bzw. Einkom­mensentwicklung konstant bei 600 Mark/Monat geblieben ist. Eine annähernd angemessene Alterssicherung konnte deshalb in den meisten Fällen nur durch die FZR erreicht werden. Auch gegenüber diesen Perso­nen wäre es nicht vertretbar, bei der Rentenberechnung ohne Rücksicht auf eine Versi­cherung in der FZR generell auf das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitsein­kommen abzustellen. Unab-hängig davon wäre auch die verwaltungs­mäßige Umsetzung einer differenzierenden Regelung unmöglich, weil die Renten­versicherungsträger bei der Bewältigung von Massentatbeständen nicht Motivfor­schung im Einzelfall betreiben kön­nen. Im Übrigen ist anzumerken, dass jedem, der sich gegen eine Beitragszahlung zur FZR entschie-den hat, bewusst sein musste, dass er entsprechende Lücken in der Alters­sicherung haben würde. Der Solidarge­meinschaft wäre es nicht zumutbar, diese Lücken in der Altersversorgung zu schlie­ßen.

Das FRG wurde für die Zeit vor der Wiedervereinigung lediglich als Hilfsmittel ver­wendet, um in der DDR zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten bei der Berechnung einer Rente aus der Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland berück­sichtigen zu können. Durch die Wiedervereinigung bestand für dieses Hilfsmittel kein Bedarf mehr, denn es standen die statistischen Daten zur Verfügung, die eine Ver­gleichbarkeit der Arbeitsein­kommen in den beiden deutschen Staaten ermöglichten. Es gab deswegen keinen Grund mehr, auf die tatsächlich in der ehemaligen DDR nachgewiesenen Arbeitseinkommen als Bemessungsgrundlage für die Berechnung einer Rente aus der Gesetzlichen Renten­versicherung zu verzichten. Die Ablösung des FRG durch das RÜG ist weder durch das Bundessozialgericht noch durch das Bundesverfassungsgericht beanstandet worden.

Nach dem RÜG werden die maßgebenden Arbeitsverdienste eines Versicherten für Zeiten im Beitrittsgebiet mit einem Faktor hochgewertet, der das Verhältnis der Durch­schnittsentgelte von West zu Ost abbildet, so dass sie den Entgelten der alten Bundes­länder vergleichbar sind. Dadurch ist gewährleistet, dass zum Beispiel der Durchschnitts­verdiener im Beitrittsgebiet für ein Jahr ebenso einen Entgeltpunkt er­hält, wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer im alten Bundesgebiet.

Versicherte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am 18. Mai 1990 im Gebiet der Bun­desrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet hatten, sind sogar begünstigt, in dem sie Entgeltpunkte erhalten und nicht Entgeltpunkte (Ost). Aus den Entgeltpunk­ten bzw. Entgeltpunkten (Ost) wird in Verbindung mit dem aktuellen Rentenwert, der derzeit 26,13 Euro be­trägt, bzw. dem aktuellen Rentenwert (Ost), der derzeit 22,97 Euro beträgt, die monatliche Rente ermittelt. Der Unterschied wird deutlich, wenn man die Höhe der Renten bei zwei Versicherten vergleicht, die 40 Jahre lang ein Ar­beitseinkommen in Höhe des Durch­schnittsverdienstes aller Versicherten in der Ge­setzlichen Rentenversicherung hatten. Dies entspricht 40 Entgeltpunkten bezie­hungsweise 40 Entgeltpunkten (Ost). Der Versi­cherte mit 40 Entgeltpunkten verfügt derzeit über eine Bruttorente von 1.045,20 Euro, der Versicherte mit 40 Entgelt­punkten (Ost) über eine Bruttorente von 918,80 Euro.

Offenbar gehen Sie auch davon aus, dass die Anwendung der Regelungen des FRG prinzipiell günstiger ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ob sich durch das FRG für den
Übersiedler tatsächlich eine höhere Rente ergäbe, orientiert sich an der individuellen Fallgestaltung. Insbesondere für die in der ehemaligen DDR berufstätigen Frauen ist es im Schnitt gesehen vorteilhafter, wenn die tatsächlichen versicherten Arbeitsent­gelte der Rentenberechnung zugrunde gelegt wer­den. Die nach dem FRG zu be­rücksichtigenden Entgelte sind bei Frauen, bei gleicher Qualifikation, deutlich gerin­ger als bei Männern.

Sehr geehrter Herr Gebauer,
über die für Ihren Einzelfall anzuwendenden Bestimmungen habe ich Sie mehrfach mit Briefen im Jahre 2004 ausführlich informiert und versucht, Ihnen die Notwendig­keit dieser Regelungen zu erklären und zu begründen. Darüber hinaus hatten wir auch die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch in meinem Bürgerbüro in Bad Segeberg.

Aus den dort damals und auch jetzt wiederum dargelegten Gründen kann eine Gesetzesänderung in Ihrem Sinne nach wie vor nicht in Aussicht gestellt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Franz Thönnes