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Franz Thönnes
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Frage von Jennifer R. •

Frage an Franz Thönnes von Jennifer R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Thönnes,

ich stelle mir und anderen oft die Frage: "Brauchen wir so viele Menschen in der Politik?"

Wir sind eine immer kleiner werdende Nation, wird es da nicht Zeit auch mal an der Spitze sich zu verkleinern?

Auch wenn es schmerzt, doch ich halte eine Zusammenlegung der Bundesländer für sehr Sinnvoll und damit Reduzierung der Politiker.

Warum muss es einen Bürgermeister in Ahrensburg, Ammersbek, Bargteheide,... geben?

Langt es nicht einfach ein/e Bürgermeister/in für den Kreis Stormarn zu haben?

Jeder hat seinen Stab und dass finde ich verhältnismäßig überfrachtet.

Meine Vorschläge wären, machen Sie aus den aktuellen Rathäusern Dienstleistungszentren, ein/e Bürgermeister/in für den Kreis, drei/vier Bundesländer zu je einem verschmelzen, Bonn u. Berlin Reisen komplett einstellen, Bundesregierung halbieren.

Es wird am Bürger unendlich gespart, doch wo bleibt die Politik mit seinen Politikern, die vollen Anspruch auf Pension haben, sobald diese zwei Legislaturperioden "ausgehalten" haben.

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Jennifer Runge

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Runge,

vielen Dank für Ihre Ansichten zum Föderalismus und Ihre Vorschläge zur Reduzierung der Anzahl der Politiker.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Der föderale Aufbau ist in Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) festgelegt. Diese Form stellt eine politische Ordnung dar, bei der die staatlichen Aufgaben zwischen Gesamtstaat und Einzelstaaten aufgeteilt werden, und zwar so, dass beide politischen Ebenen für bestimmte (verfassungsgemäß festgelegte) Aufgaben selbst zuständig sind. Grund für die föderale Struktur in Deutschland sind die Erfahrungen aus unserer Geschichte, die eine Beschränkung politischer Macht durch ihre Aufteilung auf unterschiedliche Ebenen (vertikale Gewaltenteilung) sinnvoll erscheinen ließ. Der solidarische Föderalismus ist Basis der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, an der aus meiner Sicht grundsätzlich auch nichts verändert werden sollte.

Aber natürlich ist es richtig, von Zeit zu Zeit zu prüfen, ob die getroffenen Regelungen noch sinnvoll sind. Vor diesem Hintergrund hat die Große Koalition in zwei Schritten die Beziehungen zwischen Bund und Ländern überarbeitet. So trat am 1. September 2006 mit der umfangreichsten Grundgesetzänderung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die erste Stufe der Föderalismusreform in Kraft. Durch diese wurden die Handlungs- und die Entscheidungsfreiheiten von Bund und Ländern verbessert, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zugeordnet sowie die Effizienz und die Zweckmäßigkeit bei der Aufgabenerfüllung gesteigert. Grundlegende Vorarbeiten zur Reform gehen auf die Bundesstaatskommission von Bundestag und Bundesrat zurück, die zwischen Dezember 2003 und Dezember 2004 tagte. In der zweiten Stufe der Föderalismusreform ging es um die Modernisierung der Finanzbeziehungen, um diese an die veränderten Rahmenbedingungen für die Wachstums- und Beschäftigungspolitik anzupassen. Zwischen März 2007 und März 2009 hat die Föderalismuskommission II ein Maßnahmenbündel erarbeitet, in dessen Mittelpunkt die Einführung einer neuen gemeinsamen Schuldenregel für Bund und Länder ab dem Haushaltsjahr 2011 stand. Das Gesetzgebungsverfahren zum Gesamtpaket ist mit der 2./3. Lesung im Deutschen Bundestag am 29. Mai 2009 und der Behandlung in der 859. Sitzung des Bundesrates am 12. Juni 2009 abgeschlossen worden.

Neben der inhaltlichen Ausgestaltung wurde in der Vergangenheit auch immer über die Anzahl der Bundesländer diskutiert. Hierzu muss man wissen, dass in den Artikeln 29 und 118a des Grundgesetzes festgelegt ist, dass eine Fusion nur unter Zustimmung der beteiligten Länderparlamente und der Bevölkerung durchgeführt werden kann.

Den Versuch Bundesländer zu fusionieren, hat es in Deutschland auch schon gegeben. Eine gelungene Neugliederung war der Zusammenschluss der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zum neuen Land Baden-Württemberg im Jahre 1952. Anfang April 1995 verständigten sich auch die Regierungen der Länder Berlin und Brandenburg über den Text des Staatsvertrages zur Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes. Dieser Neugliederungsvertrag beinhaltete auch die Bedingungen für seine Ratifizierung. Er wurde am 27. April 1995 unterzeichnet und erhielt am 22. Juni 1995 die notwendige Zweidrittelmehrheit beider Parlamente. Jedoch bedurfte die Ratifizierung des Vertrags darüber hinaus der Zustimmung in parallelen Volksentscheiden. Erforderlich war jeweils die Mehrheit der abgegebenen Ja-Stimmen, die in jedem der beiden Länder mindestens 25 Prozent der Abstimmungsberechtigten umfassen musste. Am 5. Mai 1996 fanden diese beiden Volksentscheide statt. Während die Berliner Bevölkerung mit knapper Mehrheit dafür stimmte, lehnten die Brandenburger die Fusion ab.

Auch bei uns in Schleswig-Holstein hat es immer wieder Überlegungen zu Fusionen mit anderen Bundesländern zu einem Nordstaat gegeben und ausschließen will ich weitere Zusammenschlüsse für die Zukunft auch nicht. Allerdings darf und kann dies nicht von oben verordnet werden und muss über eine immer dichter werdende Kooperation vorbereitet werden. Bei uns im Norden wird diese ja bereits grenzübergreifend praktiziert. Beispiele können Sie unter folgendem Link finden:
http://www.schleswig-holstein.de/STK/DE/Schwerpunkte/NorddeutscheKooperation/KooperationHamburg/KooperationHamburg_node.html
Ein Reduzierung auf vier Bundesländer halte ich vor den gemachten positiven Erfahrungen mit und negativen Erfahrungen ohne ein föderales System jedoch nicht für erstrebenswert.

Zu bedenken ist hierbei auch, dass eine Fusion nicht zwangsläufig zu einer Reduzierung der Anzahl der Politiker führt. Grundsätzlich bleibt diese gleich, nur das sie sich in einem gemeinsamen Länderparlament treffen würden. Man müssten also die Wahlkreise neu (größer) schneiden um die Zahl der Parlamentarier zu verringern. Im Ergebnis wäre dann ein Landtagsabgeordneter für mehr Bürgerinnen und Bürger verantwortlich. Das würde aber natürlich das Arbeitspensum der Abgeordneten weiter erhöhen. In den Landtagen müsste die Arbeit in den Ausschüssen auf eine geringere Anzahl an Volksvertreter verteilt werden. Dies ist bei dem derzeitigen Arbeitsumfang kaum vorstellbar. Im Wahlkreis würde die Verkleinerung zwangsläufig zu einer erhöhten Bürgerferne führen. Die Präsenz bei Vereinen und Verbänden, in Schulen, bei Unternehmen, an Infoständen und bei Bürgersprechstunden sowie die persönliche Befassung mit einer dann noch steigenden Anzahl von Bürgerzuschriften (wie Ihrer) würden erheblich erschwert. Eine derartige Entwicklung kann nicht im Interesse unserer Demokratie sein. Um diese Arbeit dann trotzdem bewältigen zu können, würden die Landtagsabgeordneten mehr Mitarbeiter benötigen. Aus meiner Sicht ist es jedoch sinnvoller, mehr demokratisch gewählte Parlamentarier und eine höhere Betreuungsdichte zu haben, statt weniger Volksvertreter aber dafür erheblich mehr Angestellte, die auf den Gehaltslisten stehen.

Eine Halbierung der Bundesregierung hätte für die verbleibenden Minister die gleichen Auswirkungen wie für die Landtagsabgeordneten. Auch hier sehe ich keinen Gewinn, wenn wir weniger Minister hätten, die die von ihnen zu verantworteten Arbeitsbereiche aber nicht mehr so bearbeiten könnten wie sie es tun sollten. Aus meiner Zeit als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales kann ich Ihnen versichern, dass diese Tätigkeit bereits jetzt sehr zeit- und arbeitsintensiv ist.

Ähnlich verhält es sich auf kommunaler Ebene. Auch hier besteht sicherlich noch Potential um die Abläufe zu optimieren und nicht ohne Grund ist in Schleswig-Holstein ja bereits seit langem eine Verwaltungsreform in der Diskussion. Aber auch hier gilt es sich die Auswirkungen Ihrer Vorschläge genau anzusehen.

Ziel der SPD ist eine solidarische Bürgergesellschaft. Diese hat nach unserer Überzeugung ihren Platz vor allem in den Kommunen. Sie sind es, die für die Daseinsvorsorge verantwortlich sind und den Alltag der Menschen prägen. In den Kommunen entscheidet sich, ob alle Kinder frühkindliche Förderung erhalten, ob Menschen unterschiedlicher Kulturen miteinander oder nebeneinanderher leben, ob Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll gestalten, ob ältere Menschen integriert bleiben, ob sich die Menschen im öffentlichen Raum sicher fühlen. Das gilt für die ländlichen Regionen und die großen Städte gleichermaßen. Es ist die überschaubare kommunale und regionale Lebenswelt mit ihrer einzigartigen Geschichte und Kultur, die Heimat, Gemeinschaft und Sicherheit im Wandel bietet. Hier benötigen wir eine bürgernahe Verwaltung, die den Bürgerinnen und Bürgern dient. Um das zu erreichen wollen wir die kommunale Selbstverwaltung stärken, ihre Qualität verbessern und ihre Organisationsfreiheiten vergrößern.

Solch eine Politik sehe ich mit Ihrer Idee der Dienstleistungszentren nur schwer vereinbar. Sie benötigt Politiker und Politikerinnen, die nah an den Menschen sind. Gerade in den Kommunen sind es ja auch hauptsächlich ehrenamtlich Aktive, die sich in ihrer Freizeit für das Wohl der Gemeinschaft einsetzen.

Ein weiterer Vorschlag Ihrerseits ist die Einstellung der Dienstreisen zwischen der alten und der neuen Bundeshauptstadt. Um die mit dem Umzug von Bonn nach Berlin verbundenen Auswirkungen für Bonn zu gestalten, wurde im „Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands“ (Berlin/Bonn-Gesetz) am 26. April 1994 beschlossen, dass Teile einzelner Bundesministerien in Bonn verbleiben, Bundesbehörden (z.B. das Bundeskartellamt) dorthin umziehen und darüber hinaus finanzielle Mittel bereitgestellt werden.

Die zusätzlichen Kosten für den Verbleib einzelner Einheiten von Bundesministerien werden von der Bundesregierung gegenüber dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages mit 8 bis 10 Millionen Euro pro Jahr angegeben (je nach Jahr leicht variierend). Des Weiteren stellt sie fest, dass die Ausgaben für die Arbeitsteilung wegen der abnehmenden Anzahl von Dienstreisen, z.B. durch die Nutzung von Videokonferenzen, stetig sinken. Demgegenüber würden bei einem Komplettumzug die hierfür anfallenden Kosten stehen.

Für eine zeitnahe Verlagerung der noch in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin sehe ich leider derzeit keine Mehrheit im Parlament. Dennoch bin ich er Auffassung, dass dies mittelfristig erfolgen sollte. Aber auch hierfür sind Mehrheiten erforderlich.

Bezüglich Ihrer Auffassung zu den Pensionsansprüchen sei darauf hingewiesen, dass Abgeordnete, die für ihre parlamentarische Tätigkeit angemessen finanziell entschädigt werden, ein Erfolg der historischen Entwicklung der Demokratie sind. Niemand sollte in die Politik gehen, nur um Geld zu verdienen. Es darf aber auch nicht sein, dass nur diejenigen in die Politik gehen, die es sich finanziell leisten können. Eine Demokratie benötigt daher auch ein System angemessener Abgeordnetenentschädigung.

Über die Pensionsansprüche von Abgeordneten wird immer wieder kontrovers diskutiert, weil sie Bestandteil der Entschädigung sind. Auch sie tragen zur Unabhängigkeit der Parlamentarier bei.

Die Altersentschädigung stellt seit dem 1. Januar 2008 keine Vollversorgung mehr dar. Sie schließt lediglich die Lücke in der Altersversorgung, die dadurch entsteht, dass sie im Parlament tätig sind und dafür auf eine andere, eine Altersversorgung begründende Berufstätigkeit ganz oder teilweise verzichten müssen. Denn für die Abgeordneten werden während der Mandatszeit keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt. Die Zeit der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag gilt auch nicht als Dienstzeit im Sinne des Versorgungsrechts der Beamten.

Um ihrem Charakter als Lücken füllende Versorgung gerecht zu werden, wird die Altersentschädigung seit dem 1. Januar 2008 bereits nach einem Jahr der Mitgliedschaft gewährt. Vorher gab es eine Wartezeit von acht Jahren. Nach dem ersten Jahr beträgt sie 2,5 Prozent der Abgeordnetenentschädigung und steigt mit jedem weiteren Jahr der Mitgliedschaft um 2,5 Prozent an. Der seit dem 1. Januar 2008 verringerte Höchstbetrag liegt bei 67,5 Prozent der Abgeordnetenentschädigung und wird erst nach 27 - statt bisher 23 - Mitgliedsjahren erreicht. Diesen Höchstanspruch erwerben jedoch nur die wenigsten Abgeordneten, da die meisten von ihnen dem Deutschen Bundestag nur für zwei bis drei Wahlperioden angehören. Das Eintrittsalter für die Altersentschädigung ist zum 1. Januar 2008 - wie auch in der gesetzlichen Rentenversicherung - stufenweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr erhöht worden.

Die Landesgruppe der schleswig-holsteinischen SPD-Bundestagsabgeordneten hat sich jedoch bereits im Jahr 2006 für eine weitergehende Reform der Altersentschädigung ausgesprochen und sich in die damalige Debatte mit einem Positionspapier eingebracht. Dieses füge ich Ihnen zur Information bei.

Abschließend noch folgende Info. Die Gesamtkosten des Deutschen Bundestages sind für das Jahr 2011 mit knapp 647 Millionen Euro veranschlagt. Auf die Bevölkerung Deutschlands (ca. 81,75 Mio. in 2010) umgerechnet bedeutet dies ca. 7,90 Euro pro Jahr/Einwohner. Der Anteil der Diäten für die Bundestagsabgeordneten macht dabei nur einen kleinen Teil. Bei den dargestellten negativen Auswirkungen einer Verkleinerung sind diese Kosten meiner Meinung nach mehr als gerechtfertigt.

Haben Sie nochmals Dank für Ihre kritischen Einschätzungen. Vielleicht konnte ich Ihnen mit meinen Informationen und Auffassungen einige zusätzliche Anregungen für Ihren weiteren Meinungsbildungsprozess geben

Mit freundlichen Grüßen
Franz Thönnes