Frage an Franz-Josef Jung von Corinna M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Jung,
in einer Ihrer Antworten beziehen Sie sich auf einen Bericht des Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, "Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsklima in der Bundesrepublik Deutschland", Forschungsbericht 84, April 2008, um die mehrheitliche Bejahung der Wehrpflicht durch die Bevölkerung zu belegen. Beim Studium des Berichtes musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass die Frage, ob man selber lieber die Wehrpflicht oder eine Berufsarmee haben möchte, so überhaupt nicht gestellt wurde. Tatsächlich wurde folgendes gefragt: „Bitte sagen Sie mir, welcher der beiden Positionen Sie persönlich eher zustimmen. (A) Die Wehrpflicht bleibt erhalten. (B) Die Wehrpflicht wird abgeschafft.“ Meiner Meinung nach ist eine derartige Fragestellung völlig ungeeignet, die Zustimmung zur Wehrpflicht festzustellen. Bei der derzeitigen politischen Lage muss eine derartige Frage doch mit (A) beantwortet werden, auch wenn man selber vielleicht gegen die Wehrpflicht ist. Ich möchte Sie daher fragen, ob Sie noch weitere, vor allem aber unabhängige Quellen nennen könnten, die Ihre Behauptung von der mehrheitlichen Unterstützung der Wehrpflicht belegen würden? Mir sind selber nämlich nur Umfragen bekannt, die ein ganz anderes Bild zeigen. So zitierte der Focus schon 2006 eine Umfrage der Zeitschrift Cicero, die Befürworter einer Berufsarmee bei 53 % sahen ( http://www.focus.de/politik/deutschland/umfrage_aid_117913.html ).
Kennen Sie eigentlich auch Umfragen, die die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der Exwehrpflichtigen mit ihrer Wehrdienstzeit dokumentieren? Mir selber ist nämlich nur die Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ bekannt, in der gerade einmal 1/3 der Befragten sich überhaupt positiv zu ihrem Wehrdienst geäußert haben ( http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Forschungsnetz/forschungsberichte,did=20558.html ).
Mit freundlichen Grüßen
Corinna Müller
Sehr geehrte Frau Müller,
für Ihre Anfrage vom 21. August 2008, in der Sie um weitere Informationen zur Auswertung der Bevölkerungsbefragung 2006 des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SWInstBw) bitten, danke ich Ihnen.
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht können, sowohl das "Setting" einer Frage in einem Befragungsinstrument, als auch die Frageformulierung selbst durchaus einen Einfluss auf das Antwortverhalten von Befragten und somit auch auf die Erkenntnisgewinnung haben. Daraus folgt, dass Fragen so formuliert werden müssen, dass Verzerrungen/Gewichtungen in die eine oder andere Richtung ausgeschlossen werden, und dass die Fragen das neutrale Erkenntnisinteresse abbilden müssen. Bei besonders wichtigen oder komplexen Fragestellungen können die Fragen in unterschiedlicher Artikulation wiederholt werden, um eventuell auftretende Tendenzen in der Beantwortung zu erkennen.
Die Fragen nach der Einstellung zur Wehrpflicht in der Untersuchung (Forschungsbericht 84, April 2008) des SWInstBw werden in Formulierung und Antwortvorgaben allen methodischen Standards gerecht, d.h. sie enthalten keine suggestiven Passagen, die Begriffe sind verständlich.
Die erhobenen Antwortverteilungen beziehen sich allerdings allein auf die Meinung zur Wehrpflicht und geben damit nur bedingt das Meinungsbild gegenüber einer Berufsarmee wieder. Die Wertschätzung der Wehrpflicht in der Bevölkerung wird auch durch entsprechende Zusatzfragen in derselben Untersuchung untermauert. Danach haben 75 Prozent der Bundesbürger eine positive Einstellung zur Wehrpflicht (s. Tabelle 44, Seite 134 des Forschungsberichtes). Und selbst bei den betroffenen jüngeren Männern (16 - 39 Jahre) liegt dieser Wert noch bei 64 Prozent.
Ein weiteres Ergebnis aus der Untersuchung des SWInstBw beleuchtet die Frage Wehrpflicht oder Berufsarmee, die Sie angesprochen hatten. Die Auffassung, "Die Wehrpflicht sollte abgeschafft und die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee umgewandelt werden", wurde von 55 Prozent der Befragten abgelehnt und von 45 Prozent akzeptiert.
Zur Frage nach Ergebnissen aus "unabhängigen Quellen" ist grundsätzlich festzustellen, dass es sich beim Sozialwissenschaftlichen Institut um eine Einrichtung der Ressortforschung des Bundes handelt. Das SWInstBw fällt hinsichtlich seiner Forschungsarbeit -- wie andere Ressortforschungseinrichtungen auch -- unter die in der Bundesrepublik Deutschland geschützte Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre (Artikel 5 Absatz 3). Das SWInstBw betreibt wissenschaftlich unabhängige und ergebnisoffene militärbezogene Sozialforschung.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Franz Josef Jung