Frage an Franz-Josef Jung von Michael H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Jung,
mit absolutem Entsetzen habe ich die Aussage des US-Verteidigungsministers Gates vernommen, Zitat: „In der NATO dürfen einige Alliierte nicht den Luxus haben, ausschließlich auf zivile und stabilisierende Operationen zu setzen und damit andere Alliierte zwingen, einen unangemessenen Anteil am Kämpfen und am Sterben zu übernehmen.“
Meines Wissens nach wurde Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg aus Erfahrung zu einem defensiv eingestellten, föderalistischen, demokratischen Staat ohne Ambitionen in Richtung Imperialismus.
Stehen wir nun wirklich vor der Entscheidung, "unseren Anteil am Kämpfen und Sterben" zu übernehmen? Welche tatsächlichen Gründe gibt es, auf eine solch unglaublich Anmaßende Forderung seitens eines Herrn Gates einzugehen? Können Sie einen solchen Schritt mit Ihrem Gewissen und auch der historischen Verantwortung Deutschlands vereinbaren?
Meines Erachtens gibt es absolut keine Legitimation für die bewusste Inkaufnahme auch nur des geringsten Lätalitätsrisikos deutscher Soldaten ausserhalb des Bundesgebietes oder gar in Kampfeinsätzen.
Ihre Antwort erwartend,
hochachtungsvoll
Michael Hausknecht
Sehr geehrter Herr Hausknecht,
der ISAF-Einsatz hat gemäß der Resolution 1776 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 19. September 2007 unverändert zum Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können.
Es geht darum, den staatlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau in einem schwierigen regionalen Umfeld fortzusetzen und abzusichern, um eine Wiederkehr der 2001 beendeten Schreckensherrschaft der Taliban nachhaltig und dauerhaft auszuschließen.
Die fortgesetzte Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Internationalen Stabilisierungs- unter Unterstützungstruppe in Afghanistan erfolgt auf der Grundlage der Resolution 1776(2007) des VN Sicherheitsrates vom 19. September 2007 und des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 12. Oktober 2007.
Deutschland wird an dem eingeschlagenen Weg der Unterstützung Afghanistans, wie er im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung 2007 und im Bundestagsmandat zur Fortsetzung der Unterstützung der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) umrissen ist, festhalten.
Deutschland leistet seinen Teil an den Gesamtanstrengungen der Internationalen Gemeinschaft durch die Übernahme von Verantwortung mit Schwerpunkt für den Norden des Landes. Der deutsche militärische Beitrag erfolgt auf der Grundlage des von allen Partnern gebilligten Operationsplanes. Auf diesen Auftrag sind die durch das Bundestagsmandat begrenzten deutschen Kräfte zugeschnitten.
Deutschland ist mit rund 3.300 Soldatinnen und Soldaten drittgrößter ISAF-Truppensteller. Als Führungsnation im Norden trägt Deutschland dort besondere Verantwortung und besondere Lasten, auch für die dort eingesetzten Verbündeten.
In dem Bewusstsein, dass ISAF nur Erfolg haben wird, wenn dieser sich in allen Regionen einstellt, unterstützt Deutschland die Gesamtoperation mit wertvollen Fähigkeiten, z.B. durch Lufttransport und Aufklärung aus der Luft. Darüber hinaus können Unterstützungsleistungen des deutschen ISAF-Kontingentes auf Grundlage des Bundestagsmandates zeitlich und im Umfang begrenzt auch außerhalb von Kabul und Nordafghanistan erfolgen, sofern dies für die Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar ist. Da es auch im Norden ein Gefährdungspotential gibt, muss jedoch sorgfältig darauf geachtet werden, dass die eigenen Fähigkeiten im Norden nicht geschwächt werden.
Der Erfolg des internationalen Engagements in Afghanistan ist aus deutscher Sicht maßgeblich von dem Erhalt der Unterstützung durch die afghanische Bevölkerung abhängig und kann nicht allein militärisch erzielt werden. Das deutsche Engagement folgt mit seinem vernetzten Ansatz der Erkenntnis, dass es ohne Sicherheit keinen Wiederaufbau und Entwicklung, aber ohne Wiederaufbau und keine Entwicklung auch keine Sicherheit geben kann.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Franz Josef Jung