Frage an Franz-Josef Jung von Gerd L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Jung,
der Einsatz in Afghanistan hat nun mittlerweile 21 deutschen Soldaten das Leben gekostet.
Trotzdem wird gebetsmühlenartig an dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan festgehalten, auch Sie wiederholen dies gebetsmühlenartig.
Als Bürger dieses Landes gibt es für mich keinerlei Rechtfertigungsgründe für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Wie rechtfertigen Sie als Bundesminister für Verteidigung den Tod von 21 Bundeswehrsoldaten?
Sie haben bei der Vereidigung als Bundesminister geschworen (Artikel 56) Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, handeln aber im völligen Widersinn zu diesem Artikel 56 des GG und nehmen offensichtlich den Tod von Bundesbürgern in Kauf.
Artikel 26 GG verbietet den Angriffskrieg von Deutschland aus. Der Einsatz der Tornado-Kampfflugzeuge widerspricht diesem Artikel 26 GG im Besonderen. Da diese Geräte Kriegsflugzeuge sind und keine Rosinenbomber, um es einmal martialisch auszudrücken.
Ein Blick auf den Globus zeigt mir, dass zwischen Deutschland und Afghanistan tausende von Kilometer Distanz besteht und Deutschland nicht von Afghanistan angegriffen worden ist. Auch das ist ein Grund, warum die Bundeswehr in Afghanistan nichts zu suchen hat. Die Bundeswehr ist eine Armee für die eigene Landesverteidigung auf deutschem Gebiet!!
Es ist bedauernswert wie der Werteverfall in unserer Gesellschaft voranschreitet und immer wieder Artikel aus unserem Grundgesetz missachtet werden.
Ich fordere Sie auf, gemäß dem Grundgesetz zu handeln und die Auslandseinsätze der Bundeswehr so rasch wie möglich zu beenden.
Mit Waffengewalt schafft man keinen Frieden.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Lange
Sehr geehrter Herr Lange,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage und die Darstellung Ihrer Sicht der Dinge zum Afghanistaneinsatz. Es dürfte Sie nicht verwundern, dass ich Ihre Ansicht der Dinge nicht teile. Deshalb zunächst einige Erläuterungen zu den rechtlichen Grundlagen des Einsatzes.
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes einigten sich die größten ethnischen Gruppen Afghanistans im November und Dezember 2001 anlässlich der Petersberger Konferenz auf eine „Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen“ (Bonner Vereinbarung). Damit schufen sie die Grundlage für die internationale Truppe ISAF, deren Aufstellung der Weltsicherheitsrat am 20. Dezember 2001 beschloss. Sie soll im Auftrag der Vereinten Nationen die afghanische Regierung bei der Wahrung der Menschenrechte sowie bei der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit unterstützen.
In diesem Zusammenhang sind auch die Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1623 vom 13.09.2003; 1510 vom 13.10.2003; 1444 vom 23.05.2002; 1386 vom 20.12.2001; 1383 vom 06.12.2001; 1378 vom 14.11.2001 und 1368 vom 12.09.2001 zu betrachten.
Eine zentrale Herausforderung dieses Jahrhunderts wird es sein, dem existierenden asymmetrischen Konfliktpotenzial zu begegnen. Dabei wird es – wie wir in den vergangenen Jahren leidvoll erfahren mussten – nicht immer genügen, sich ausschließlich auf diplomatische Mittel abzustützen, sondern wir müssen auch militärische Fähigkeiten aufbauen und vorhalten, die gegebenenfalls mit Härte und Entschlossenheit das verteidigen können, was unsere Väter und Mütter aufgebaut haben. Dass wir hierbei auch das Risiko eigener Verluste tragen müssen, ist uns vor wenigen Wochen wieder schmerzhaft ins Bewusstsein gerufen worden.
Bis 1990 existierten im Ost-West-Konflikt klare Grenzen zwischen „Freund und Feind“. Heute ist die Sache komplizierter. Neben Migration und Bürgerkrieg, gibt es eine Vielzahl von Gruppierungen, die eine gegen uns gerichtete Politik verfolgen. Dazu gehört u.a. auch das terroristische Netzwerk um Osama bin Laden, welches das Regime eines islamischen Gottesstaates errichten will und klar im Gegensatz zu demokratischen Gesellschaften steht.
Zur Durchsetzung und im Kampf gegen unsere westliche Gesellschaft wird sich dabei vor allem terroristischer Mittel bedient, die länderübergreifend zum Tragen kommen. Vorrangiges Ziel sind zurzeit die USA, eigentliches Ziel ist aber die Werteordnung und das gesellschaftliches Selbstverständnis demokratischer Gesellschaften. Damit werden auch die Staaten Europas bedroht, wie die Anschläge in London und Madrid und der misslungenen Anschlag in Deutschland deutlich dokumentieren.
Dass Afghanistan einige Tausend Kilometer entfernt liegt, ist in einer globalisierten Welt nicht mehr wirklich relevant. Afghanistan war ein Rückzugs- und Ausbildungsgebiet für terroristische Vereinigungen. Unter anderem aus Afghanistan sind die ausgebildeten und indoktrinierten „Kämpfer“ in die westlichen Ballungsgebiete gekommen, um Ihre „Berufung“ in die Tat umzusetzen. Dagegen galt und gilt es etwas zu unternehmen.
Richtig ist, dass die traditionelle Ordnung in Afghanistan nicht unserer westlichen Werteordnung und Vorstellung von Demokratie entspricht. Hier gilt es, bei dem schwierigen Balanceakt des Aufbaus einer eigenen demokratischen Kultur in diesem Land, weder Zeit noch Augenmaß zu verlieren. Ziel darf nicht sein, dem afghanischen Volk unseren „way of life“ aufzuzwingen. Die Bundeswehr ist nach meinen Erfahrungen und Einschätzungen, die ich bei meinen Besuchen in diesem Land gewonnen habe, auf einem gutem Weg, dem afghanischen Volk als Freund und Begleiter ein Leben in Recht und Freiheit nach eigenen Vorstellungen zu ermöglichen. Natürlich wird in einer offenen demokratischen Gesellschaft auch über andere Lösungsansätze zu diskutieren sein. Als aufmerksamer Beobachter werden Ihnen entsprechende Veröffentlichungen in der Presse nicht unbekannt sein, ebenso wenig die parlamentarischen Diskussionen hierzu, die letztlich auch Auswirkungen auf den Einsatz der Bundeswehr haben.
Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass Soldaten keine bewaffneten Entwicklungshelfer sind. Soldaten schaffen ein sicheres Umfeld für die Tätigkeit anderer Institutionen, die den zivilen Aufbau des Landes vorwärts bringen. Mit der Stabilisierung friedlicher Gesellschaftsordnungen, auch in fernen Ländern dieser Welt, wird die Bundesrepublik Deutschland auch ihrer internationalen Verantwortung als Mitglied verschiedener Sicherheitsorganisationen gerecht. Ich erinnere hier nochmals an meine Ausführungen zu den rechtlichen Grundlagen des ISAF Mandates.
Unter dieser Argumentation müssen auch die Einsätze der TORNADOs gesehen werden. Der Einsatz der TORNADOS´s steht dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen. Dies wurde durch das Bundesverfassungsgericht in höchstrichterlicher Instanz bestätigt.
Aufklärungsflugzeuge wie der TORNADO sind sehr gut geeignet, den gestellten Auftrag zu erfüllen. Neben einem flexiblen Einsatz bei nahezu jeder Witterung und einer entsprechend langen Stehzeit im Operationsgebiet, können durch diese Aufklärungsflugzeuge gezielt Informationen gewonnen werden. Ergänzt werden diese durch weitere Aufklärungsmittel, bspw. Drohnen und Satelliten und bodengestützte Aufklärung.
Jedes Aufklärungsmittel verfügt dabei über teilweise spezielle Fähigkeiten, welche erst in ihrer Gesamtheit ein umfassendes Lagebild vermitteln. Der Tornado verfügt also über bestimmte Fähigkeiten, die durch andere Aufklärungsmittel nicht abgedeckt werden können und schließt damit eine entsprechende Lücke. Je besser die Aufklärungsergebnisse sind, desto genauer und effektiver können militärische Ziele bekämpft und zivile Opfer und Kollateralschäden vermieden werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Franz Josef Jung