Frage an Franz-Josef Jung von Franziska S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Jung,
der von Ihrer Partei mitunterzeichnete Koalitionsvertrag sieht unter anderem auf Seite 7, aber auch an zahlreichen anderen Stellen "Bürokratieabbau" vor. Zugleich vereinbaren Sie unter dem Stichwort "Strukturreform SGB II" auf Seite 74 eine "verfassungsfeste Lösung" sowie die Verankerung der "getrennten Aufgabenwahrnehmung" - dies "ohne Änderung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Finanzbeziehungen".
Beides widerspricht sich: Wo heute Arbeitslosengeld II-Empfänger in der Mehrheit der Fälle zu einer Behörde, der ARGE, gehen, müssen sie künftig zu zwei Behörden, um im Ergebnis dieselben Leistungen - Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung - zu erhalten. Bitte erklären Sie mir, wie sich diese Haltung mit "Bürokratieabbau" vereinbaren lässt, wenn künftig zwei statt einer Behörde die Leistungen gewähren!
Des weiteren wollen Sie die Optionskommunen, die als vorübergehendes "Experimentiermodell" gedacht waren, ohne Verfassungsänderung als Dauerlösung installieren. Da bereits heute Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Optionskommunen laut werden, wüsste ich gerne, wie eine verfassungsfeste "Optionslösung" ohne Verfassungsänderung aussehen soll!
Darüber hinaus hat das BVerfG gerade die Mischverwaltung als unzulässig angesehen. Bitte erklären Sie mir, wie dieses Verbot der Mischverwaltung zu einem "Mustervertrag" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales steht! Was passiert eigentlich, wenn eine Kommune den Mustervertrag mit der BA nicht abschließen möchte? Ist dann nicht absehbar, dass im Falle der Kooperationsunwilligkeit jedenfalls mit einem enormen bürokratischen Aufwand zu rechnen ist, der eher zu einer Zunahme der streitigen Verfahren im SGB II-Bereich führt?
Bitte teilen Sie mir mit, welche Gründe dazu geführt haben, dass CDU, CSU und FDP eine so verheerende Lösung zur Umsetzung des BVerfg-Urteils gewählt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Franziska Siebenschuh
Sehr geehrte Frau Siebenschuh,
für Ihre Frage vom 27. Oktober 2009 danke ich Ihnen.
Für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind seit ihrer Einführung im Jahr 2005 zwei Behörden zuständig gewesen, die Bundesagentur für Arbeit und der jeweilige örtliche kommunale Träger. Dabei ist die Bundesagentur seither für die Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in dem Arbeitsmarkt und die Erbringung der Leistungen zum Lebensunterhalt zuständig. Die Zuständigkeit der Kommunen umfasst im Wesentlichen die Wohnkosten und die zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlichen sozial-flankierenden Leistungen (wie z.B. Schuldner- oder Suchtberatung). Die derzeitige Form der Zusammenarbeit beider Behörden in den Arbeitsgemeinschaften hat das Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis 31. Dezember 2010 eine mit der Verfassung in Einklang stehende Lösung umzusetzen. Unter Beachtung der Vorgaben des BVerfG gibt es nach geltender Verfassungslage keine Alternative zur eigenständigen Aufgabenwahrnehmung beider Träger. Um jedoch die Verwaltung bürgerfreundlicher zu gestalten und Doppelarbeit zu vermeiden, sollen beide Behörden soweit möglich und von beiden gewünscht, zusammen arbeiten.
Als Grundlage für diese Zusammenarbeit wird ein Mustervertrag mit verschiedenen Bestandteilen entwickelt. Er wird die Zusammenarbeit regeln und die Entscheidung des BVerfG beachten. Wesentlicher Eckpfeiler ist, dass die Zusammenarbeit nur auf freiwilliger Basis geschehen und kein Zwang zur Kooperation bestehen darf. Die Kommunen können also entscheiden, ob und inwieweit sie das Vertragsangebot annehmen. Welche Kooperationen unter Beachtung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben unterbreitet werden können und wie weit diese gehen, muss sehr sorgfältig geprüft werden.
Der Koalitionsvertrag sieht auch vor, die derzeit noch befristeten Zulassungen der Optionskommunen zu entfristen. Die dazu vorzuschlagenden Regelungen werden mit den für Verfassungsrechtsfragen zuständigen Bundesministerien des Innern und der Justiz abgestimmt werden.
Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Lösungsweg ist angesichts der aktuellen Lage richtig und notwendig. Im Angesicht der schwierigen Fragen, die sich im Rahmen der Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen, kann sich die Koalition nicht von der Opposition im Deutschen Bundestag abhängig machen. Die Koalition hat sich daher dafür entschieden, eine Lösung zu suchen, mit der ohne Verfassungsänderung und ohne Verschiebung der finanziellen Zuständigkeiten, eine möglichst optimale Gestaltung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes umgesetzt wird. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Abläufe müssen bis Ende 2010 organisatorisch angepasst werden. Es muss jetzt ein Lösungsweg beschritten werden, der auch politisch durchsetzbar ist und eine sichere Perspektive für die Arbeit der Jobcenter und der Optionskommunen auch über den 31. Dezember 2010 hinaus ermöglicht.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Franz Josef Jung