Frage an Frank-Walter Steinmeier von Sigrid M. bezüglich Umwelt
Atomdeal
Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier,
noch vor wenigen Wochen war von rd. 27 Milliarden die Rede, die die Stromkonzerne bereitstellen sollten, um für die Entsorgung des Atommülls aufzukommen. Geschätzte Entsorgungskosten betragen schon heute rd. 170 Millarden, wobei allein die Asse mit rd. 5 Milliarden zu Buche schlägt (Monitor, ARD, 12.5.16). Wie können Sie verantworten, alle zukünftigen Generationen mit Kosten zu belasten und hebeln dabei das von Ihnen verteidigte Prinzip der Marktwirtschaft (Verursacherprinzip) aus? Wie können Sie den Bürgern erklären, dass Ihre Partei nicht ebenfalls nur zum "verlängerten Arm der Lobbyisten" mutiert ist und auch zukünftig wählbar sein soll? Wie können Sie verantworten, dass in diesen Vertragsdeal nicht jedenfalls der Passus aufgenommen wird, dass die Konzerne, sobald sie wieder erhebliche Gewinne realisieren, sich an den laufenden Kosten beteiligen müssen? Wie können Sie verantworten, dass diese Konzerne, die jahrelang Milliarden verdient haben, sich jetzt zu Lasten der Steuerzahler von ihrer Verantwortung freikaufen können?
Darauf hätte ich gern eine Antwort!
MIt freundlichen Grüßen
Sigrid Masa
Sehr geehrte Frau Masa,
am 14. Oktober 2015 hat die Bundesregierung die „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)" eingesetzt. Diesem Gremium unter dem gemeinsamen Vorsitz von Ole von Beust, Matthias Platzeck und Jürgen Trittin gehörten insgesamt 19 Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen an. Auftrag der Kommission war es, einen Vorschlag zu erarbeiten, wie die Stilllegung und der Rückbau der Kernkraftwerke sowie die Entsorgung der radioaktiven Abfälle so ausgestaltet und geregelt werden können, dass einerseits eine solide Finanzierung sichergestellt wird, andererseits aber die Unternehmen auch langfristig wirtschaftlich in der Lage bleiben, ihre bestehenden Verpflichtungen zu erfüllen.
Die Kommission hat am 27.4.2016 einstimmig ihre Empfehlungen beschlossen und vorgelegt. Kernpunkte sind:
1. Die Betreiber der Kernkraftwerke bleiben auch weiterhin für die Stilllegung und den sicheren Rückbau der Kernkraftwerke verantwortlich. Über die bisherige Gesetzeslage hinaus empfiehlt die Kommission eine gesetzliche Pflicht zum sofortigen Rückbau. Zusätzliche Transparenzanforderungen sollen gewährleisten, dass die Unternehmen ihren Rückstellungspflichten weiter uneingeschränkt gerecht werden.
2. Für die Zwischen- und Endlagerung übertragen die Betreiber 23,3 Milliarden Euro auf den Bund. Darin enthalten sind 17,2 Milliarden Euro, die die Betreiber bisher zurückgestellt haben. Hinzu kommt ein Risikozuschlag von 6,1 Mrd. €, das entspricht rund 35 Prozent. Dieser Gesamtbetrag von 23,3 Mrd. € entspricht den von den Gutachtern bestätigten Kosten für Zwischen- und Endlagerung.
3. Die operative und finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung nimmt dann zukünftig der Staat wahr. Die Kommission erwartet von den Betreibern, dass die im Zusammenhang mit der Finanzierung und Verantwortung der nuklearen Entsorgung stehenden Klagen fallen gelassen werden. Die vollständigen Empfehlungen der Kommission sind unter www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen,did=764862 abrufbar.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen in der Kommission sind überzeugt: Heute ist eine Weichenstellung gelungen. Hiermit lässt sich ein sichere und verlässliche Finanzierung des Kernenergieausstiegs gewährleisten – und das auf lange Sicht: Das Verursacherprinzip wird strikt umgesetzt und zukunftsfest gemacht, indem die langfristig erforderlichen Mittel für Zwischen- und Endlagerung zukünftig sicher beim Staat liegen. Es wird dafür gesorgt, dass der Steuerzahler nicht am Ende die sprichwörtliche Zeche zahlt. Auf die in Deutschland – auch im internationalen Vergleich – bereits umfassend gebildeten Kernenergie-Rückstellungen kommt ein zusätzlicher Sicherheitszuschlag, den die Energieunternehmen mit an den Staat zu überweisen haben. Die Energieversorger gewinnen Planungssicherheit. Das ist wichtig, damit sie auch morgen in der Lage sind, ihren fortbestehenden Rückbauverpflichtungen nachkommen zu können. Überdies werden dadurch Arbeitsplätze gesichert.
Ebenso wichtig sind die Struktur-Empfehlungen der Kommission. Die Verantwortlichkeiten werden klar getrennt: Dem Rückbau in den Händen der Betreiber stehen die Zwischen- und Endlagerung in Händen des Staates gegenüber. Derjenige, der eine Aufgabe beim Kernenergieausstieg operativ zu verantworten hat, muss sie auch finanziell stemmen können. Deshalb ist es richtig, dass eine operative Verantwortung des Staates für die Zwischenlagerung auch die Übertragung der entsprechenden Finanzmittel von den Unternehmen auf den Staat nach sich zieht. Die Klarheit der Strukturen ist vor allem im Interesse der Sicherheit. Denn es werden Verantwortlichkeiten gebündelt und klare Schnittstellen im Zusammenwirken zwischen Staat und Wirtschaft geschaffen.
Die Kernkraftwerksbetreiber befinden sich derzeit in einem anspruchsvollen Strukturwandel. Für sie schafft die Verständigung eine verlässliche Basis, um als leistungsfähige Akteure den Erfolg der Energiewende mitzugestalten. Die Kosten der Kernenergie – vom Rückbau bis zur Endlagerung – waren in den vergangenen Jahren regelmäßig Gegenstand kontroverser Diskussionen. Die Arbeit der KFK hat gezeigt, dass es auch anders geht. Über die Grenzen von Parteien und gesellschaftlichen Gruppen hinweg haben die Kommissionsmitglieder konstruktiv zusammengearbeitet. Jetzt geht es um eine möglichst zügige Umsetzung der Kommissionsempfehlungen. Das konstruktive Miteinander im Rahmen der Kommissionsarbeit kann dafür eine gute Richtschnur sein.
Anikó Rumpler
Leiterin des Abgeordnetenbüros