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Frank-Walter Steinmeier
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Frage von Bernd K. •

Frage an Frank-Walter Steinmeier von Bernd K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier!

Es ist unstrittig, dass wir möglichst zu einer einheitlichen europäischen Linie in der Frage der Bürgerkriegsflüchtlinge kommen sollten. Das kann allerdings bis zum St. Nimmerleinstag dauern. Ich finde es nach wie vor gut, dass Deutschland auf diesem Gebiet über seinen eigenen Schatten springt und ein Vorbild ist.

Welche Möglichkeiten sehen Sie dagegen, um den völkerrechtswidrigen Umgang Ungarns und anderer Staaten mit diesen gebeutelten Menschen öffentlich zu brandmarken? Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es außer der täglichen Einbestellung des ungarischen Botschafters ins Außenamt? Könnte sich Ihre Partei nicht einmal deutlich dazu äußern, dass es für deutsche Urlauber attraktive Urlaubsziele außerhalb Ungarns gibt? Auf welche andere Weise könnte man auf die Regierung Orban politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben? Wir sollten alle Möglichkeiten ausschöpfen.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Koch

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Koch,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 4. Oktober an Herrn Steinmeier, auf welche ich gern antworten möchte.

Der Grundgedanke der Europäischen Union ist geteilte, gemeinsame Souveränität und nicht Abschottung. Die Flüchtlingskrise gefährdet das Ideal offener Grenzen. Nach Art. 2 EUV gründet sich die EU auf gemeinsamen Werten wie der Achtung der menschlichen Würde und der Menschenrechte. Diese Werte werden von allen Mitgliedstaaten in einer Solidargemeinschaft geteilt. Die EU fördert diese Werte und erkennt das Recht auf Asyl an. Dies ist für die EU und all ihre Mitgliedstaaten verpflichtend. Die Bundesregierung macht die ungarische Regierung über viele Gesprächskanäle immer wieder hierauf aufmerksam, und bittet Ungarn, sich an der dauerhaften Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen.

Die Bundesregierung steht mit der ungarischen Regierung in einem stetigen Dialog – nicht nur zu Fragen der Flüchtlingskrise. Die politischen Beziehungen sind traditionell eng und freundschaftlich, in den letzten Jahren aber durch verschiedene Handlungen und Erklärungen der Regierung Orban auch zunehmend von Irritationen geprägt. Im Umgang mit der Flüchtlingskrise gibt es deutliche Meinungsverschiedenheiten. Bei der Flüchtlingsthematik handelt es sich aber nicht um ein bilaterales Thema zwischen Deutschland und Ungarn. Beispielsweise die Dublin- und Eurodac-Regeln zur Registrierung von Flüchtlingen müssen von allen Mitgliedstaaten befolgt werden. Über die Einhaltung dieser europäischen Regeln wacht keinesfalls die Bundesregierung und noch weniger das deutsche Auswärtige Amt, sondern die EU-Kommission als Hüterin der Verträge.

Nach EU-Recht müssen Flüchtlinge in dem EU-Land registriert werden (Eurodac) und Asylantrag stellen (Dublin III), in das sie als erstes einreisen. Ungarn sieht sich Vorwürfen der Missachtung dieser Regeln ausgesetzt. Es argumentiert damit, dass zuvor Griechenland und weitere Staaten (Mazedonien, Serbien) durchreist wurden, die Schutz bieten können.

Grundsätzlich verstößt die Einführung eines Straftatbestandes „Illegale Einreise“ nicht gegen internationale Verpflichtungen eines EU-Mitgliedstaates. Im Regelfall wird im Zuge des Asylersuchens das entsprechende Verfahren eingestellt. Ungarischer Sonderfall: Wenn Flüchtlinge die „Grüne Grenze“ überqueren und aufgegriffen werden erfolgt ein Strafverfahren, Verurteilung wegen illegaler Einreise, und infolge dessen Ausweisung. Bestünde dabei an keiner Stelle die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, bestünde darin ein Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen. Nach Kenntnisstand des Auswärtigen Amtes ist es aber für Flüchtlinge, die sich bereits in Ungarn aufhalten, möglich, auch dort – also im Land - einen Asylantrag zu stellen. Wenn Flüchtlinge die „Grüne Grenze“ überqueren, und bei Aufgriff sagen, dass sie gar nicht in Ungarn Asyl beantragen, sondern durchreisen wollen, stellt eine Einleitung eines Verfahrens wegen illegalem Grenzübertritt dagegen keinen Verstoß gegen internationale Verpflichtungen dar. In Ungarn ist die Situation insofern nicht so einfach zu beurteilen: Seit Januar 2015 sind über 300.000 Flüchtlinge in Ungarn eingereist. Es wurden ca. 175.000 Asylanträge gestellt. 90% der Asylverfahren werden aber ohne Entscheidung eingestellt, denn die Asylsuchenden zogen während des laufenden Verfahrens einfach weiter, ungarische Behörden stellten dann regelkonform Asylverfahren ein. Laut ungarischer Immigrationsbehörde blieben nur 4% der Einreisenden zumindest vorübergehend in Ungarn. Die bestehenden Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge sind dementsprechend nicht voll belegt, die meisten Flüchtlinge verlassen Ungarn gleich wieder Richtung Österreich.

Mit freundlichen Grüßen
Team Steinmeier

Anikó Rumpler
Leiterin des Abgeordnetenbüros

Dr. Frank-Walter Steinmeier
Mitglied des Deutschen Bundestages
Bundesminister des Auswärtigen