Frage an Frank-Walter Steinmeier von Dieter C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Steinmeier,
gerne würde ich einmal erfahren warum Sie nicht bereit sind den Völkermord gegen die Armenier offen als diesen anzuerkennen und auch so zu benennen. Die BRD soll sich immer wieder zu den Verbrechen des 3.Reichs bekennen. Warum verlangen Sie dies nicht von der Türkei?
Sehr geehrter Herr Conradt,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 23. April an Herrn Steinmeier, gern möchte ich Ihnen darauf antworten.
Die Frage nach einer historischen Einordnung der schrecklichen Ereignisse von 1915/16, bei denen so viele Menschen auf grausame Weise getötet wurden, ist ein wesentlicher Aspekt der Debatte der vergangenen Wochen. Persönlich kann Herr Steinmeier das Bedürfnis gut nachvollziehen, das damalige Geschehen in dem Begriff „Völkermord“ zusammenfassen zu wollen. Diesem Bedürfnis trägt auch folgende Formulierung Rechnung: "[Das] Schicksal [der Armenier im Osmanischen Reich] steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist." Dieser Text ist im Gespräch mit der Bundesregierung entstanden, und auch Bundespräsident Gauck hat diese Worte bei seiner Ansprache am 23. April im Berliner Dom verwendet. Er ist Teil des Entwurfs eines Entschließungsantrags, über den der Deutsche Bundestag am 24. April beraten hat und der in den kommenden Wochen in den Ausschüssen weiter diskutiert wird.
Als Außenminister muss Herr Steinmeier jedoch auch den aktuellen politischen Konflikt zwischen der Türkei und Armenien im Blick haben. Hierbei geht es um mehr als den Streit um einen Begriff. Die Türkei hat 1993 ihre Grenze zu ihrem östlichen Nachbarn Armenien geschlossen. Dies geschah im Zusammenhang mit dem Bergkarabach-Konflikt aus Solidarität mit Aserbaidschan, zu dem die Türkei enge Beziehungen pflegt. Großen Anlass zur Hoffnung gab die Annäherung zwischen der Türkei und Armenien im Jahr 2009, als die Außenminister beider Staaten in Zürich zwei Protokolle über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen unterzeichneten. Kernelemente der Vereinbarung sind die Öffnung der gemeinsamen Grenze und die Einrichtung einer Historikerkommission, die die schrecklichen Massaker der Jahre 1915/16 wissenschaftlich beleuchten und zu einem gemeinsamen Verständnis kommen soll. Diese Vereinbarung wurde von den Parlamenten beider Staaten jedoch nie ratifiziert – der Annäherungsprozess liegt seit einigen Jahren auf Eis. Diesen Prozess wiederzubeleben und allgemein zur Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern beizutragen, ist ein wichtiges politisches Ziel der Bundesregierung. Herr Steinmeier plädiert daher für eine Sprache, die nicht Partei ergreift, sondern möglichst vermittelnd und ausgleichend wirkt. Zugleich macht er in seinen Gesprächen mit türkischen Regierungsvertretern die Erwartung deutlich, dass sich die Türkei auch mit den schmerzhaften Kapiteln ihrer eigenen Geschichte kritisch auseinandersetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Team Steinmeier