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Frank-Walter Steinmeier
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Frage von Petra W. •

Frage an Frank-Walter Steinmeier von Petra W. bezüglich Soziale Sicherung

Guten Tag Herr Dr. Seinmeier,

im Artikel Artikel 12, Abs. 2 des Grundgesetzes ist zu lesen:

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Verstoßen Arbeitsagenturen und Jobcenter mit der Vergabe von Ein-Euro-Jobs, Praktika, Probearbeit und vieles mehr nicht regelmäßig gegen das Grundgesetz?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Witt,

vielen Dank für Ihre Anfrage an Herrn Steinmeier, die ich Ihnen gern beantworten möchte.

Aus rechtlicher Sicht stellt sich Ihre Fragestellung in Bezug auf Art. 12 GG wie folgt dar. Die Zuweisung in eine Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II verstößt nicht gegen das Verbot von Arbeitszwang nach Art. 12 Absatz 2 GG. Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung sind Leistungen zur Eingliederung in Arbeit mit dem Ziel der Erhaltung oder Wiedererlangung der Beschäftigungsfähigkeit. § 16d SGB II normiert keine Arbeitspflicht, sondern im Zusammenwirken mit den Selbsthilfegrundsatz und den Sanktionsregelungen lediglich eine Obliegenheit. Es bleibt den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten überlassen, ob sie die ihnen angebotene Arbeits-gelegenheit annehmen oder ablehnen. Soweit sie sich weigern, eine zumutbare Arbeitsgelegenheit anzunehmen und damit möglicherweise den Rechtsfolgen des § 31a SGB II ausgesetzt sind, entspricht dies dem in § 2 Absatz 2 Satz 1 SGB II verankerten Grundsatz des Forderns, wonach erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen. Das Einfordern von eigenen Anstrengungen zählt zu den Grundprinzipien bedarfsabhängiger und am Fürsorgeprinzip orientierter Sozialleistungen. Dieses auch als Selbsthilfegrundsatz bezeichnete Prinzip ist auch verfassungsrechtlich begründbar (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 27/AS R). Die Verpflichtung für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhaltes einzusetzen, ergibt sich aus dem Nachranggrundsatz subsidiärer staatlicher Fürsorgesysteme. Zu dem Nachranggrundsatz des Bundessozialhilfegesetzes, der auch dem SGB II zu Grunde liegt, hat die Rechtsprechung und Rechtsliteratur bereits festgestellt, dass bei einer Weigerung, zumutbare Arbeit zu leisten, die hieraus resultierenden Sanktionen weder gegen das internationale Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit vom 1. Juni 1956 noch gegen das Verbot des Arbeitszwangs in Artikel 12 Absatz 2 Satz 1 GG und das Verbot der Zwangsarbeit (Artikel 12 Absatz 3 GG) verstößt.

Zudem gebietet die Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – vom 7. Juli 2010 – 1 BvR 2556/09). Das Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 GG greift nur dann ein, wenn und soweit andere Mittel zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Verfügung stehen. Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass einem hilfebedürftigen Menschen die materiellen Voraussetzungen dafür zur Verfügung stehen, um seine Würde in solchen Notlagen, die nicht durch eigene Anstrengungen und aus eigenen Kräften überwunden werden können, durch materielle Unterstützung zu sichern. Das Prinzip des Förderns und Forderns besagt, dass eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, mithelfen muss, ihre Situation zu verbessern. Wird eine erwerbsfähige Person durch die Gemeinschaft unterstützt, muss sie deshalb alles unternehmen, um ihren Lebensunterhalt wieder selbst aus Erwerbstätigkeit zu bestreiten oder zumindest das Ausmaß von Hilfebedürftigkeit zu vermindern. Das Einfordern von eigenen Anstrengungen zählt zu den Grundprinzipien bedarfsabhängiger und am Fürsorgeprinzip orientierter Sozialleistungen. Dieses auch als Selbsthilfegrundsatz bezeichnete Prinzip ist gesellschaftlich anerkannt und auch verfassungsrechtlich begründbar (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 27/AS R). Zudem ist die Mitwirkung von Leistungsberechtigten an der Leistungserbringung ein allgemeines Prinzip im Sozialleistungsrecht.

Mit freundlichem Gruß
Team Steinmeier