Frage an Frank-Walter Steinmeier von Irmgard R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier,
es ist oft davon die Rede, dass Facharbeiter zu uns kämen. Die Realität sieht oft anders aus, da wanderte zum Beispiel mindestens ein ganzes Dorf nach Berlin ein, wie ich Ihnen anhand dieser Berichte gerne belege:
http://www.bz-berlin.de/bezirk/neukoelln/ein-roma-dorf-zieht-nach-berlin-article1426839.html
Von 240 000 neuen Jobs sollen dieses Jahr 37.000 an die hier lebenden Menschen gehen und der größte Teil an Einwanderer, siehe diesen Bericht:
http://www.rp-online.de/wirtschaft/auch-2014-wird-es-keinen-job-boom-geben-aid-1.3708096
Außerdem wird sogar für die daheim gebliebenen Kinder Kindergeld bezahlt: Siehe diesen Bericht Seite 2:
http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Weisung_Kindergeld_260508.pdf
Da können die Wirtschaftskreise meine Erachtens noch so viel Rabulistik verbreiten. Es gab und gibt auch ernst zu nehmende Berichte, dass die Arbeitslosenstatitik nicht stimmt, siehe diesen Bericht:
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/beschaeftigung-3-2-millionen-arbeitslose-gelten-nicht-als-arbeitslos-1512738.html
In diesem Bericht ( u.vielen anderen) wird davon geschrieben, dass der Fachkräftemangel auf wenige Branchen begrenzt ist:
http://www.n-tv.de/wirtschaft/Die-Maer-vom-Fachkraeftemangel-article3833126.html
Daher meine Frage, warum viele Politiker meines Erachtens die Verlautbarungen der Wirtschaft so unkritisch übernehmen? Ich studierte einst VWL und muss erkennen, dass viele Politiker eher rein betriebswirtschaftlich denken. Könnten Sie hierzu bitte künftig die anderen Sichtweisen berücksichtigen?
Wäre es nicht besser den Menschen vor Ort zu helfen und die hier lebenden Arbeitslose einzustellen bzw. für die Jobs zu qualifizieren?
Mit freundlichen Grüßen
Irmgard Resch
Sehr geehrte Frau Resch,
Ihre Ansicht, dass es wichtig sei, die Debatte um den Zuzug von Menschen nach Deutschland im Rahmen der europäischen Regelungen zur Arbeitnehmer-Freizügigkeit differenziert, sachlich und auf einer breiten Faktengrundlage zu führen, teile ich. Es schadet dem europäischen Einigungsgedanken, dem Ansehen Deutschlands und auch der deutschen Wirtschaft, wenn wir in einer emotionalen Debatte pauschale Vorwürfe gegenüber Menschen aus anderen EU-Partnerstaaten erheben.
Ich bin überzeugt, dass die europäischen Freiheiten – und dazu gehört die Arbeitnehmer-Freizügigkeit ganz elementar – ein unverzichtbarer Teil der Errungenschaften im europäischen Integrationsprozess sind. Diese Freiheiten wollen wir schützen, gegen Missbrauch genauso wie gegen Populismus. Wir müssen den Nutzen, dass viele junge, zumeist sehr motivierte Menschen zu uns kommen, klar benennen. Wir dürfen zugleich nicht die Augen verschließen vor den realen Problemen, die es bei der Integration, besonders in einigen deutschen Städten wie zum Beispiel Duisburg, zu lösen gilt. Wo es vor Ort Probleme gibt, gehen wir sie an. Im Koalitionsvertrag haben wir dazu festgehalten: Wir unterstützen die Kommunen bei der Integration der Zuwanderinnen und Zuwanderer und stocken unter anderem das Förderprogramm „Soziale Stadt“ auf. Wir wollen deutlich machen, dass Deutschland ein offenes Land ist, das Chancen bietet. Wir stellen aber auch klar heraus, dass es kein pauschales Recht auf Zuwanderung in soziale Sicherungssysteme gibt. Gegenüber der EU-Kommission halten wir daran fest: EU-Ausländer, die in Deutschland nicht arbeiten, haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II.
Weil es sich um Fragen handelt, die unsere Gesellschaft ganz breit betreffen, hat die Bundesregierung eine hochrangige Arbeitsgruppe verschiedener Ressorts auf Staatssekretärsebene gebildet. Auch mein Ministerium, das Auswärtige Amt, bringt sich dort ein. Die Bundesregierung identifiziert so sachlich und umfassend Handlungsbedarf und wird Maßnahmen zur Abhilfe von Problemen mit unseren Partnern auf subnationaler wie auf europäischer Ebene anpacken.
Herzliche Grüße
Frank-Walter Steinmeier