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Frage von Rainer S. •

Frage an Frank-Walter Steinmeier von Rainer S. bezüglich Soziale Sicherung

Halten Sie es für richtig, dass

1. der Gesetzgeber seinen Bürgern in Ergänzung zur immer weniger werdenden Rente den Abschluss einer Direktversicherung (DV) empfiehlt, langjährige Verträge später aber ohne Vorwarnung rückwirkend außer Kraft setzt (Vertragsbruch) und damit Vertragsinhaber vor vollendete Tatsachen stellt?

2. Arbeitnehmer durch Gehaltsumwandlung jahrzehntelang auf Konsum verzichten, um bei Auszahlung nach dem 01.01.2004 mit einer Kapitalvernichtung „belohnt“ zu werden?

3. Beiträge aus Gehaltsumwandlung (bereits versteuerte und verbeitragte Einzahlungen), bei Insolvenz des Arbeitgebers (AG) oder vorzeitiger Kündigung auch bezahlt mit Arbeitslosengeld und BfA-Rente (also Privatvermögen) vom Gesetzgeber nach Auszahlung als Versorgungsbezüge? deklariert werden, obwohl im Vertrag „von vornherein Einmalzahlung, Rentenwahlrecht ausgeschlossen“ festgelegt war?

4. Versicherungsbeträge gezahlt OHNE Arbeitgeberanteil aus Gehaltsumwandlung vom Gesetzgeber als eine der Betriebsrente vergleichbare Einnahme (!) definiert werden, während Zahlungen des AG ZUSÄTZLICH ZUM GEHALT in eine auf den Namen des AN lautende DV keine Betriebsrente ist und nach Auszahlung beitragsfrei zur GKV/-PV bleiben?

5. AG, Versicherungsgesellschaften und die Gesetzlichen Krankenkassen die Gewinner, Arbeitnehmer aber die Verlierer sind?

6. Privat Versicherte Rentner keinen Solidarbeitrag leisten (Ungleichbehandlung der Rentner)?

7. Hochrangige Regierungsmitglieder für sich ständig Bestands- und Vertrauensschutz sowie Vertragstreue einfordern, dies jedoch den Bürgern verweigern?

Erbitte Ihre Antworten zu 1-7. Werden Sie als (künftiges) Mitglied des Bundestages eine Gesetzesinitiative zur Korrektur des GMG auf den Weg bringen?

Portrait von Frank-Walter Steinmeier
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Seifert,

gesetzliche Regelungen über die Beitragspflichtigkeit von Leistungen aus betrieblichen Direktversicherungen bestanden schon vor dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14. 11. 2003. So waren beispielsweise auf laufende Rentenzahlungen aus betrieblichen Direktversicherungen Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen. Beitragspflichtig waren auch schon Kapitalabfindungen, wenn sie nach Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart wurden, so zum Beispiel bei Umwandlung einer laufenden Rentenzahlung in eine Kapitalabfindung. Betriebliche Direktversicherungen mit einer einmaligen Kapitalleistung waren dagegen, wenn die Kapitalisierung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart worden war, zu diesem Zeitpunkt gegenüber diesen anderen betrieblichen Direktversicherungsformen beitragsrechtlich begünstigt. Für diese Differenzierung gab es unter dem Blickwinkel der Belastungsgerechtigkeit keinen sachlichen Grund. Die konsequente Umsetzung des Solidarprinzips gebot es vielmehr, alle Einkünfte aus betrieblichen Direktversicherungen gleich zu behandeln. Die mit dem GMG erfolgte Neuregelung beseitigte diese Ungleichbehandlung im Beitragsrecht.
Die SPD setzt auf die betriebliche Alterssicherung. Sowohl die private Altersvorsorge als auch die betriebliche Alterssicherung müssen nach meiner Überzeugung ausgebaut und verstärkt werden. Die beitragsrechtliche Gleichbehandlung aller Leistungen aus betrieblichen Direktversicherungen durchkreuzt diese Politik nicht. Sie beseitigt jedoch die Präferenz für eine bestimmte Form der betrieblichen Direktversicherung.

Zu Frage 1:
Ich verstehe, dass Sie diese Regelung als Belastung empfinden. Vor allem, weil sie auch in Verträge eingreift, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits abgeschlossen waren. Die damalige Entscheidung hat sich niemand leicht gemacht. Es galt abzuwägen zwischen dem Schutz des Vertrauens der Rentnerinnen und Rentner auf den Fortbestand der zuvor geltenden Rechtlage und dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung der Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Ergebnis der Güterabwägung ist dem Interesse der Allgemeinheit Vorrang eingeräumt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung als verfassungsgemäß bestätigt.

Zu Frage 2:
Von "Kapitalvernichtung" kann keine Rede sein. Richtig ist, dass die Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Leistungen aus betrieblichen Direktversicherungen den gesetzlich versicherten Rentnern einen Beitrag zur Solidarität in der Versichertengemeinschaft abverlangt. Es ist richtig, Rentnerinnen und Rentner dann verstärkt zur Beitragszahlung heran zu ziehen, wenn deren gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine solche Mehrbelastung zulässt. Das ist insbesondere bei den Rentnerinnen und Rentnern der Fall, die zusätzlich zu ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung Einkünfte aus Versorgungsbezügen erzielen, z.B. in Form einer betrieblichen Direktversicherung mit Kapitalleistung.

Zu Frage 3:
Die meisten Beschäftigten finanzieren ihre betrieblichen Direktversicherungsprämien durch Entgeltumwandlung von Einmalzahlungen. Die Versicherungsprämien bzw. die darauf beruhenden geldwerten Vorteile für den Arbeitnehmer sind in der Ansparphase in der Regel nicht mit Sozialversicherungsbeiträgen belegt worden. Die konkrete Ausgestaltung der Versicherungsverträge lässt sich vom Gesetzgeber nicht beeinflussen.
Als beitragspflichtige Versorgungsbezüge i.S. von § 229 SGB V galten auch bereits nach alter Rechtslage alle Versorgungsleistungen des Arbeitgebers mit betrieblichem Bezug auf der Grundlage des Betriebsrentengesetzes. Wenn die Direktversicherung stets vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer geführt worden ist, können die wirtschaftlichen Erträge hieraus als Versorgungsbezüge qualifiziert und zur Beitragserhebung herangezogen werden. Für jeden Einzelfall muss also bestimmt werden, ob ein Berufsbezug der Versorgungsleistung nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis weiter bestanden hat oder nicht. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 zwei Grundsatzentscheidungen getroffen (1 BvR 739/08 Beschluss vom 06.09.2010, 1 BvR 1660/08 Beschluss vom 28.09.2010). Danach ist der Berufsbezug dann nicht mehr gegeben, wenn der ehemalige Arbeitnehmer den Lebensversicherungsvertrag vollständig als Versicherungsnehmer übernommen und fortgeführt hat. Kapitalleistungen hieraus gelten dann über den Teil, für den der ehemalige Arbeitnehmer als Versicherungsnehmer privat Beiträge gezahlt hat, nicht als beitragspflichtige Versorgungsbezüge gemäß § 229 SGB V.

Zu Frage 4:
Siehe Antwort auf Frage 3. Für den Berufsbezug ist nicht entscheidend, wer die Versicherungsprämien gezahlt hat, sondern wer Versicherungsnehmer ist.

Zu Frage 5:
Es geht nicht um "Gewinner" oder "Verlierer". Jeder Einzelne hat einerseits Anspruch auf die Hilfe der Gemeinschaft, wenn ein Lebensrisiko - wie Krankheit - seine Leistungskraft überfordert. Dieser solidarische Versicherungsschutz unterscheidet sich grundlegend von der privaten Krankenversicherung, in der die Höhe des Beitrages von Vorerkrankungen und Krankheitsrisiken abhängt. Andererseits muss der Einzelne im Rahmen seiner individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Gesundheitskosten beitragen. Nur so erreichen wir mehr und gleiche Gesundheitschancen für alle. Wir wollen, dass auch in Zukunft die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken und die wirtschaftlich Starken für die wirtschaftlich Schwachen eintreten.

Zu Frage 6:
Nein, das halte ich nicht für richtig. Ich bin überzeugt davon, dass wir eine umfassende Solidargemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger brauchen, wenn wir die Absicherung von Gesundheit und Pflege auf Dauer gewährleisten wollen. Deswegen setzen wir uns für die Bürgerversicherung als Kranken- und Pflegeversicherung ein. Mit der Bürgerversicherung sichern wir verlässlich eine gute Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem Einkommen, ihrer Lebenslage oder ihrem Erwerbsstatus.
Wer politische Verantwortung trägt, sieht sich vielfach in der Situation, Entscheidungen treffen zu müssen, die auch Belastungen mit sich bringen. Das ist nicht immer einfach und setzt die gründliche Abwägung aller Argumente voraus. Im Fall des GMG ist dies aus meiner Sicht geschehen.

Mit freundlichen Grüßen

Frank-Walter Steinmeier