Frage an Frank-Walter Steinmeier von Rainer V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Steinmeier,
Ich würde Sie gerne fragen was Sie als Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragten für die Nachrichtendienste (ab 1998) und später (ab 1999-2005), als Chef des Bundeskanzleramtes über die Überwachungspraktiken gegenüber Deutscher Bürger, der ausländischen Geheimdienste in Deutschland und von außerhalb Deutschlands wussten. Speziell meine ich damit die durch die letzten Enthüllungen bekanntgewordenen Projekte in Verbindung mit Prism und Tempora.
Auch würde ich gerne wissen ob Sie Kenntniss hatten über die Geheimverträge mit den "Siegermächten" welche durch den Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth in seinem Buch "Überwachtes Deutschland" veröffentlicht wurden, und den "Siegermächten" das Ausspionieren der Deutschen Bürger zumindest nach meinem Verständniss erlaubten.
Wenn sie von diesen Dingen wussten, warum wurde in der Zeit nichts dagegen unternommen? War es nicht in Ihrem Interesse das zu tun, oder wer hat sich dagegen ausgesprochen? Bzw. aus welchen Gründen wurde nichts unternommen um diesen Missstand zu beseitigen. Halten Sie die jetzige Situation überhaupt für einen Missstand?
Sollte ein Teil meiner Fragen aufgrund der Geheimhaltung nicht beantwortbar sein, entschuldige ich mich dafür, ich erwarte dann auch keine Antwort. Aber ich habe mich hier bewusst auf Inhalte Beschränkt die in der letzten Zeit sowieso öffentlich geworden sind und hoffe Sie können mir zu meinen Fragen daher antworten.
Sehr geehrter Herr Verspohl,
es ist doch hoffentlich keine ernstgemeinte Frage, ob ich die bekannt gewordenen Abhörprogramme für einen Missstand halte! Das Ausmaß der Abhörung übersteigt alle Vorstellungen. Selbstverständlich müssen alle Staaten um den Schutz ihrer Bürger besorgt sein, zumal die USA nach dem 11. September. Aber eine flächendeckende Abhörpraxis ist ein anderes Kaliber. Hier werden Freiheitsrechte offenbar vollständig ausgehebelt, und das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit ist völlig außer Kontrolle geraten.
Sie fragen nach meinen persönlichen Kenntnissen. Zu meiner Zeit im Kanzleramt gab es die fraglichen Programme, Prism und Tempora noch nicht. Und auch nicht die technischen Möglichkeiten, die eine derartige Totalüberwachung des gesamten Internetverkehrs erfordert. Das bedeutet nicht, dass Geheimdienste nicht zusammenarbeiten dürfen, etwa um Entführungen deutscher Staatsbürger aufzuklären. Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes arbeitet in solchen Fällen eng und gut mit Vertretern des Bundeskriminalamtes und des Bundesnachrichtendienstes zusammen, und die wiederum mit befreundeten Diensten. Das alles hat aber nichts zu tun mit der aktuellen Debatte über eine flächendeckende Abschöpfung privater Daten aus befreundeten Staaten.
Diese Praxis des Speicherns vollständiger Datenströme sprengt alle Grenzen. Sie muss gestoppt werden. Und deshalb ist es erschreckend, dass die Bundesregierung und namentlich Frau Merkel das Ausmaß dieses Skandals anscheinend nicht begreifen. Sechs Wochen nach Snowdens Enthüllungen hat Merkel nicht mal für Aufklärung darüber gesorgt, was die Regierung wusste. Der Innenminister war in den USA, es gab Auftritte von Regierungsvertretern im Parlamentarischen Kontrollgremium und vor dem Innenausschuss, aber wir sind keinen Deut schlauer geworden. Was weiß die Regierung? Läuft das Programm noch? Was tut Merkel, um deutsche Interessen zu wahren? Darauf müssen jetzt Antworten her.
Und dafür reicht es nicht, sich in Washington nur lieb Kind machen zu wollen. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe verlangt eine selbstbewusste deutsche Politik, die sich ein eigenes Urteil zutraut und das massenhafte Ausspähen unbescholtener Bürgerinnen und Bürger nicht einfach hinnimmt. Gemeinsamer Kampf gegen den Terror ist notwendig, gemeinsam auch mit den USA. Das bedeutet aber nicht, die systematische Verletzung von Bürgerrechten stillschweigend hinzunehmen!
Mit freundlichen Grüßen
Frank-Walter Steinmeier