Frage an Frank-Walter Steinmeier von André M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier,
ich schreibe Sie an als Vorsitzender der SPD-Fraktion.
Gestern hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß auch das novellierte Bundestagswahlrecht verfassungswidrig ist und neu gefaßt werden muß. Neben dem negativen Stimmgewicht ging es dabei vor allem um die Überhangmandate. Was halten Sie in diesem Zusammenhang von folgendem Vorschlag:
In Zukunft wird nur noch ein Viertel der Sitze des Bundestages durch Direktmandate besetzt, die restlichen drei Viertel über die Landesliste. Dazu müßte man nur die Wahlkreise vergrößern, so daß sich ihre Zahl halbiert.
Ergebnis ist eine Verringerung des Gewichtes der Erststimmen, was meiner Meinung nach gerechtfertigt ist, da die Bundestagswahl ihrem Wesen nach eine Verhältniswahl ist. Und das Phänomen der Überhangmandate dürfte damit vom Tisch sein, denn bei nur 25% Direktmandate ist es unwahrscheinlich, daß eine Partei mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Anteil der Zweitstimmen zustehen würden.
Über eine Antwort würde ich mich freuen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
André Meyer
Lieber Herr Meyer,
das Bundesverfassungsgericht hat Angela Merkel und ihrer schwarz-gelben Koalition erneut die Grenzen aufgezeigt. Sie wollte im Alleingang ein Wahlrecht durchdrücjken, das elementare Grundlagen des Grundgesetzes missachtet. Die verfassungsrichter haben klargestellt: Zu viele Überhangmandate sind gleichheitswidrig, sie verzerren das Wahlergebnis und verstoßen damit gegen unsere Verfassung. Diesen Grundsatz kann auch Frau Merkel nicht außer Kraft setzen. Sie hat das Wahlrecht für Machtpolitik zu missbrauchen versucht. Es ist gut, dass dieser Versuch gescheitert ist.
Nun müssen wir schnellstmöglich eine neue Regelung finden, um wieder ein gültiges Wahlrecht zu haben. Der Entwurf der SPD liegt auf dem Tisch, und wir sind zu Verhandlungen bereit. Unser Vorschlag, den wir auch bereits in den Bundestag eingebracht haben (Drs. 17/5895, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/058/1705895.pdf ) geht ganz in die Richtung Ihrer Ideen.
Denn wir wollen die Zahl der Abgeordneten so anpassen, dass Überhangmandate im Verhältnis der Parteien zueinander vollständig ausgeglichen werden. Das heißt, für jedes entstandene Überhangmandat würden auch die anderen Parteien mehr Mandate bekommen, so dass die relativen mehrheitsverhältnisse unverändert bleiben. Um einer unerwünschten Vermehrung oder gar „Aufblähung“ der Sitzzahl entgegenzuwirken, soll der Anteil der Direktmandate an der Gesamtsitzzahl verringert wird. Dadurch lassen sich, wie Sie richtig schreiben, Überhang- und Ausgleichsmandate weit gehend vermeiden. Eine generelle Abschaffung der Direktmandate und damit von Elementen der Mehrheitswahl in unserem Wahlrecht lehnen wir jedoch ab. Denn die Direktwahl fördert die Bindung der einzelnen Abgeordneten an ihren Wahlkreis und damit die regionale Repräsentation im Bundestag. Außerdem wirken sie einer Parteienzersplitterung entgegen und verhindern die Radikalisierung von Parteien, weil zumindest die Volksparteien um die gemäßigte Wählerschaft in der Mitte kämpfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Frank-Walter Steinmeier