Frage an Frank-Walter Steinmeier von Maximilian M. bezüglich Wirtschaft
Hallo Herr Steinmeier,
eben hörte ich Ihr Statement "wenn 27 Staaten in Europa sparen sparen sparen, dann führt das zur Krise!"
Dazu meine Frage: wie ist Europa denn überhaupt in die aktuelle Krise gekommen? durch zu große Sparbemühungen?? Nebenbei: was qualifiziert Sie überhaupt, wirtschaftspolitische Fragen zu beantworten? Ihr Jurastudium?
mfg aus Köln
Sehr geehrter Herr Muth,
die deutsche Bundesregierung begreift die gegenwärtige Krise allein als eine Staatsschuldenkrise. Ganz nach dem Motto: Lasst uns dafür sorgen, dass die Haushalte wieder in Ordnung kommen, dann wird schon wieder alles gut. Diese Analyse ist schlicht falsch. Auch wenn es vor der Krise in einigen Ländern schon eine hohe Staatsverschuldung gab - auf Länder wie Spanien und Irland, um nur die beiden zu nennen, traf das nicht zu. Mitte 2007 lag die Staatsverschuldung in Irland bei lediglich 28,6 Prozent des BIP. Ähnlich in Spanien: Hier lag die Staatsverschuldung bei 42 Prozent. Insgesamt lag die Staatsverschuldung in der Euro-Zone 2007 historisch niedrig und unter den Werten im Rest der OECD. Seit 2007 ist allerdings einiges passiert. Lehmann Brothers, eine globale Finanzkrise, nationale Rettungsschirme für Banken und die Realwirtschaft, steigende Kosten für Arbeitslosigkeit. Und damit sind überall in Europa die Schuldenstände nach oben geschnellt - auch in Deutschland um fast 20 Prozent auf heute 79%.
Bei Krankheiten gilt: Nur wer die richtige Diagnose stellt, kann auch die richtige Therapie anordnen. Und das gilt auch bei Wirtschafts- und Finanzkrisen analog. So richtig es ist, dass hohe Staatsschuldenquoten auf Dauer problematisch sind - sie jetzt mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste nach unten zu bringen kann nicht unsere einzige Antwort sein. Das zeigt auch unsere eigene deutsche Erfahrung. Wir haben in Deutschland in den letzten zehn Jahren die Wende doch nicht geschafft, weil wir phantasielos nur Ausgaben gekürzt haben. Erinnern wir uns: 2002, nach dem Platzen der Blase an den neuen Märkten, war Deutschland der kranke Mann Europas. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben pflichtbewusst gemacht, den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme reformiert. Aber wir haben gleichzeitig auch darauf geachtet, dass darüber die Konjunktur nicht völlig in den Keller rauscht. Und als dann - nach 2008 - die nächste Krise kam, haben wir mit wachstumsfördernden Instrumenten dagegen gehalten. Der deutsche Erfolg ist kein Erfolg einer reinen Austeritätspolitik. Er basiert auf einem klugen Mix aus Ausgabendisziplin, Strukturreformen und Wachstumsimpulsen.
Märkte verlieren das Vertrauen, wo die Staatsschulden außer Kontrolle geraten. Sie verlieren aber auch das Vertrauen, wenn die Wirtschaft am Boden liegt und keine Aussicht auf Besserung besteht. Wachstum liegt auch in unserem deutschen Eigeninteresse. Wir werden die robuste Konjunktur, die Deutschland noch hat, nur dann bewahren, wenn unsere europäische Nachbarschaft auch wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Haushaltskonsolidierung ist wichtig! Schulden müssen abgebaut werden. Aber: Schuldenabbau ist nur die eine Seite der Medaille. Wer einzig und allein auf rigorose Sparpolitik setzt, treibt die Krisenländer immer weiter in eine Abwärtsspirale. Und genau das erleben wir heute: Investitionen brechen ein, die industrielle Produktion schrumpft und die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen, erreicht immer neue Höchststände. Damit verhindert eine reine Austeritätspolitik genau das, was sie eigentlich erreichen will, nämlich solide Haushalte.
Als zweites Standbein neben dem Schuldenabbau braucht Europa deshalb eine neue Wachstumsstrategie. Und die SPD ist froh, dass wir die Bundesregierung in den Verhandlungen über den Fiskalpakt dazu gebracht haben, auf diese unsere Linie einzuschenken.
Mit freundlichen Grüßen
Frank-Walter Steinmeier