Frage an Frank-Walter Steinmeier von Klaus S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Steinmeier,
die Abstimmung über den ESM-Vertrag sowie des Fiskalpakts steht auf der Agenda noch vor der Sommerpause. Wir bitten Sie im Interesse der Zukunft Europas und dem Bestand der Demokratie in diesem, unserem Land, Ihre Zustimmung zu verweigern.
Mit diesen Gesetzentwürfen wird gegen die No-Bailout-Klausel des Lissaboner-Vertrags von 2009 verstossen. Außerdem ist die Einsetzung eines Gremiums des ESM mit seinen so weitreichenden Befugnissen nicht demokratisch legitimiert und unterliegt auch nicht der parlamentarischen Kontrolle.
Die Organisation des ESM entzieht sich selbst und deren Funktionäre durch eine weitgefasste Immunität der Verantwortung und jeglicher juristischer und strafrechtlicher Verfolgung. Mit seinen weitreichenden Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten greift der ESM direkt in die staatliche Souveränität Deutschlands ein, beschränkt die Rechte des Parlaments entgegen der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
Mit dem Fiskalpakt, dem zweiten Pfeiler der geplanten Maßnahmen, erhalten zudem EU-Institutionen weitgehende Kontrollmöglichkeiten auf die Haushalte der souveränen Mitgliedsstaaten, ohne dass deren Parlamente oder auch das EU-Parlament darauf Einfluss nehmen könnten.
Die sogenannte Budgethoheit des Parlaments (Legislative) – die oft als die ureigenste Macht demokratisch gewählter Volksvertreter bezeichnet wird – würde so an Institutionen der Regierungsgewalt (Exekutive) abgetreten.
Sehr geehrter Herr Steinmeier,
für mich und meine Familie ist es wichtig zu wissen, wie Sie in der bevorstehenden Abstimmung votieren werden.
Für uns ist wichtig zu wissen, wem wir bei zukünftigen Wahlen vertrauen können und wer die Interessen unseres Landes im Sinne der Erhaltung der Demokratie vertritt.
Deshalb bitten wir Sie um Ihre Stellungnahme und eine klar formulierte Aussage, wie Sie sich in der Abstimmung zu ESM & Fiskalpakt verhalten werden.
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Strietzel
Sehr geehrter Herr Strietzel,
Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben am 29. Juni den Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin in Europa sowie den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM verabschiedet. Die SPD - und auch ich persönlich - haben beide Entscheidungen mit großer Mehrheit mitgetragen. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir alle spüren die Verantwortung. Und wir wissen, dass Politik aus der Abwägung von Risiken besteht. Die SPD-Fraktion ist in großer Mehrheit zu dem Schluss gekommen, dass die Risiken des Nicht-Handelns größer sind als die Risiken, die von ESM und Fiskalpakt ausgehen.
Was den Fiskalpakt betrifft, so sah dieser zunächst allein in strikter Haushaltsdisziplin und massivem Schuldenabbau die Lösung aller Probleme der Eurozone. Natürlich ist auch für uns Sozialdemokraten unbestritten, dass die Euro-Staaten ihre gigantischen Schuldenberge in den Griff bekommen müssen. Schließlich können wir uns dauerhaft nur aus den Fängen der Finanzmärkte befreien, wenn wir die öffentliche Verschuldung nicht weiter ausufern lassen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Noch nie hat sich ein Land mitten in einer Rezession aus einer Krise heraus gespart. Wer einzig und allein auf rigorose Sparpolitik setzt, treibt die Krisenländer immer weiter in eine Abwärtsspirale. Wir haben deshalb seit Beginn der Diskussion über den Fiskalpakt immer wieder gefordert, dass die überschuldeten Staaten neben Haushaltsdisziplin auch Impulse für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung brauchen, um dauerhaft wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Deswegen haben wir hart mit der Bundesregierung verhandelt - und das Ergebnis kann sich sehen lassen, und erfüllt uns mit einigem Stolz. Uns ist es gelungen, die schwarz-gelbe Koalition von ihrer fatalen und fantasielosen Sparpolitik abzubringen den Fiskalpakt um einen Wachstumspakt zu ergänzen. In dieser Form konnte ich ihm zustimmen, weil er jetzt Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen in den Krisenländern mit Zukunftsperspektiven verbindet, die (über die Finanzmarkttransaktionssteuer) auch noch von den Richtigen bezahlt werden - nämlich von denen, die die Finanzkrise überhaupt erst verursacht haben.
Was zweitens den ESM betrifft, so wurde dieser von der SPD seit langem gefordert. Denn er ersetzt den zeitlich befristeten (und "mit heißer Nadel gestrickten") Rettungsschirm EFSF. Er ist eine dauerhafte Institution, die einen sicheren Rahmen für die Konditionierung weiterer Hilfen bereitstellt und Staaten auf dem Weg der Konsolidierung langfristig begleitet. Dabei ist er - entgegen einiger Behauptungen, die im Internet kursieren - stets der parlamentarischen Kontrolle unterworfen. Über jedes neue Programm des ESM entscheiden die nationalen Parlamente.
Klar ist: Der ESM ist nicht nur ein Signal der innereuropäischen Solidarität, sondern auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Denn Deutschland ist nicht der „Zahlmeister Europas“, sondern der größte Gewinner der Währungsunion. Etwa 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone, wodurch in Deutschland mehr als drei Millionen Arbeitsplätze gesichert werden. Im Jahr 2010 belief sich der positive Effekt der Währungsunion für die deutsche Wirtschaft auf 165 Milliarden Euro, das entspricht 6,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Stabilität des Euros und unserer Partnerländer liegt daher im ureigenen deutschen Interesse. Wir retten den Euro nicht aus Nächstenliebe oder Europa-Schwärmerei, sondern weil uns ein Zusammenbruch der Währungsunion am härtesten treffen würde. und das heißt: Wir retten nicht Griechenland oder Spanien, sondern in erster Linie den Wohlstand und die Arbeitsplätze in Deutschland!
Mit freundlichen Grüßen
Frank-Walter Steinmeier