Frage an Frank-Walter Steinmeier von Ulrike M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Steinmeier,
wohltuend habe ich eben Ihre Rede im Parlament verfolgt. Als Mutter von einem Sohn der in die Realschule geht, gebe ich Ihnen gerne Recht, dass der andauernde Unterrichtsausfall (letzes Jahr zeitweise 70 Stunde pro Woche in der Schule wegen Langzeitkranken Lehrern in Fächern wie Mathe, Englisch, usw.) eine echte Zumutung ist. Welche Probleme dadurch auch im folgenden Jahr entstanden sind, brauche ich nicht näher zu erläutern, sie sind sicher nachvollziehbar. Dass Sie sich jetzt endlich dafür einsetzen wollen, finde ich schön. Dennoch ist mir noch nicht klar, mit welchen Mitteln Sie dieses Problem lösen wollen. Ich für mich habe eine ganz einfache Lösung dafür. Ich würde gerne auf Kindergeld verzichten, wenn dafür folgendes geboten würde.
1. Kostenfreie Kindergartenplätze mit Mittagessen für Kleinkinder sowieso ab 3. Jahre
2. Vorschule in den Kindergärten, die den Begriff Vorschule auch wirklich nachkommen.
3. Kostenfreie Schulen, bedeutet jegliches Arbeitsmaterial vom Buch über Heft bis zur Patrone inkl. Mittagessen für die Schüler
4. Garantierter Unterricht, heisst JEDE Schulstunde findet statt.
5. Förderunterricht wird in ALLEN Schulen und ALLEN Klassen wieder eingeführt.
Dass verstehe ich unter einem guten Bildungssystem. Leider sind wir in Deutschland (auch in Baden-Württemberg) weit davon entfernt.
Mich würde interessieren, ob dies eine mögliche Option für Sie wäre.
Mfg
U. Michelhans
Liebe Frau Michelhans,
ich freue mich, dass Ihnen meine Rede zum Kooperationsverbot gefallen hat. Wie Sie bin auch ich der Meinung, dass Bund und Länder gemeinsam mehr tun müssen, um die Verlässlichkeit und vor allem Qualität der Bildungsangebote zu verbessern.
Völlig zu Recht weisen Sie dabei auf die Wichtigkeit von Bildungsinfrastruktur hin. Ich teile Ihre Auffassung, dass der Ausbau von Infrastruktur Vorrang hat vor weiteren Transfermaßnahmen (wie dem Kindergeld). Ein starkes und leistungsfähiges öffentliches Bildungswesen ist der beste Weg, um hochwertige Angebote zu schaffen - und damit auch die Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen zu stärken.
Dem steht erstens das so genannte Kooperationsverbot für Bildung entgegen, das 2006 im Grundgesetz eingefügt wurde. Die SPD ist sich - übrigens als einzige Volkspartei - darin völlig einig, dass dieses Verbot unzeitgemäß ist und heute mehr schadet als nutzt. Deshalb haben wir auf unserem letzten Parteitag im Dezember 2011 beschlossen, die Verfassung an dieser Stelle zu öffnen und gemeinsame Bildungsmaßnahmen von Bund und Ländern auch für Kitas oder Schulen zuzulassen.
Zweitens kostet ein gutes Bildungssystem viel Geld. Deutschland liegt aber derzeit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, etwa auch was den Anteil der Bildungsausgaben am BIP betrifft. Wir haben deshalb einen Nationalen Pakt für Bildung und Entschuldung vorgelegt. Darin beschreiben wir, wie Haushaltskonsoliderung und zusätzliche Bildungsinvestitionen sinnvoll verbunden werden können. Insgesamt wollen wir rd. 20 Mrd. Euro im Jahr zusätzlich für Bildung zur Verfügung stellen, je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert. Dazu sind Einnahmeverbesserungen der öffentlichen Hand notwendig. Die SPD denkt weniger an eine Streichung des Kindergeldes, als an Steuererhöhungen besonders für Spitzenverdiener. Viele Menschen sind bereit, auch zusätzliche Belastungen auf sich zu nehmen, wenn das „Wofür“ klar ist und am Ende ein wirklich besseres Bildungswesen steht.
Abschließend gibt es drittens noch ein Vorhaben, das mir besonders am Herzen liegt: Und zwar der weitere Ausbau von Ganztagsschulen. Ganztagsschulen schaffen Raum und Zeit, damit alle Kinder und Jugendlichen ihre Stärken und Begabungen, ihre Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft entwickeln können. Wir wollen Schule zu einem gesellschaftlichen Ort machen - mit bester Förderung aller Schülerinnen und Schüler, mit guten Freizeitangeboten und mit hervorragend qualifizierten Pädagogen. Dafür arbeitet die SPD-Bundestagsfraktion an einem Masterplan für den weiteren Ausbau der Ganztagsschulen. Unser Ziel ist es, spätestens im Herbst 2012 ein Konzept vorlegen zu können, wie bis 2020 jedem Kind einen Platz in einer guten Ganztagsschule angeboten werden kann - und das unabhängig vom Wohnort oder von der besuchten Schulform.
Mit freundlichen Grüßen
Frank-Walter Steinmeier