Portrait von Frank-Walter Steinmeier
Frank-Walter Steinmeier
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Frank-Walter Steinmeier zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Aniko K. •

Frage an Frank-Walter Steinmeier von Aniko K. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Steinmeier,

seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit dem SGB II und der damit verbundenen beabsichtigten Absicherung des menschenwürdigen Existenzminimums. Mich interessiert dabei besonders die Auswirkung auf den Einzelnen und auf die Gesellschaft. In diesem Zusammenhang habe ich einige Einzelschicksale kennengelernt und studiere seit 2005 Statistiken, die auf eine starke Verunsicherung einer breiten Bevölkerungsmasse schließen lassen. Dauerhafte Existenzängste wirken nicht aktivierend, sondern sehr schädlich auf das menschliche Gehirn.

Am 9. Februar 2010 gab es zum SGB II ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bzgl. der Berechnungsgrundlage der Hartz4-Regelsätze.
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html

Aus dem Urteil resultierte eine Neuberechnung der Regelsätze. Aus den Leitsätzen des Gerichts geht hervor, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum eigenständige Bedeutung hat. Deshalb sind aus meiner Sicht § 31, SGB II, Absenkung und Wegfall des Arbeitslosengeldes II und § 32, SGB II, Absenkung und Wegfall des Sozialgeldes ebenfalls verfassungswidrig. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum wird ganz klar verletzt, da eine praktizierte Absenkung des Existenzminimums die eigenständige Bedeutung unzulässig aufhebt. Auch wenn das damalige Verfahren die Sanktionsparagrafen (§ 31 und 32, SGB II) nicht beleuchtet hat, kann die Argumentation leicht abgeleitet werden.

Ich manchen Fällen wurden bereits Lebensmittelkarten ausgegeben, wenn durch Sanktionen das Existenzminimum auf Null gesetzt wurde. Dies stellt ebenfalls kein menschenwürdiges Existenzminimum im Sinne des Grundgesetzes dar. Ganz zu schweigen von der Bedrohung durch Obdachlosigkeit. Außerdem stellt sich die Frage, wie die ständige negative Nachrichtenlage auf die Bevölkerung insgesamt wirkt.

Ist Ihnen bewusst, dass die Sanktionsparagrafen einen starken existenzbedrohenden Charakter besitzen?

MfG

Portrait von Frank-Walter Steinmeier
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kleehammer,

Sie kritisieren die Sanktionen im SGB II. Gern möchte ich Ihnen antworten, und zunächst einmal klarstellen: Die Mehrheit der ALG-II--Empfänger will arbeiten. Das belegen Erfahrungswerte und zahlreiche wissenschaftliche Studien. Doch wenn ein erwerbsfähiger Hilfsbedürftiger eine zumutbare Arbeit nicht annimmt, kann das ALG II zunächst um 30 Prozent abgesenkt werden. Im Wiederholungsfall kann es um weitere 30 Prozent reduziert werden. Art und Höhe der Sanktionen richten sich nach dem Alter des Bedürftigen und der Art der Pflichtverletzung. Weitere Verschärfungen, wie von manchen Populisten gefordert, lehne ich klar ab. ebenso aber kann ich einen kompletten Wegfall der Sanktionsmöglichkeiten nicht befürworten.

Denn nachweislich gibt es leider auch Missbrauch - wie überall dort, wo Sozialleistungen gezahlt werden. Sanktionen sind deshalb notwendig, schon um die Akzeptanz der Hilfsleistungen in der arbeitenden Bevölkerung zu sichern. Arbeitnehmern, die in ihrem Umfeld Missbrauch von Sozialleistungen erleben, wäre es nicht zu vermitteln, komplett auf die Möglichkeit zu sanktionieren zu verzichten. Allerdings setzt die SPD sich dafür ein, dass die Sanktionen im SGB II individueller auf den Einzelfall eingehen. Art und Umfang einer Sanktion müssen abgestuft und leichter zurückgenommen werden können. Zudem müssen die Sanktionsregelungen wissenschaftlich evaluiert werden, um zu überprüfen, inwieweit sie mit der Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums in Konflikt geraten. Drittens sollten die gesetzlichen Regelungen dahingehend angepasst werden, dass eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung notwendige Voraussetzung für die Anwendung einer Sanktionsregelung ist. Viertens gibt es keinen erkennbaren Grund, warum Jugendliche härter sanktioniert werden als Ältere. Diese Handlungsnotwendigkeiten haben zahlreiche Experten aus der Richterschaft, vom DGB, Wohlfahrtsverbänden und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in ihren Beiträgen in einer Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales bestätigt.

Leider jedoch scheint die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik vor allem Kürzungspolitik zu verstehen. Es gibt keinen Bereich im Bundeshaushalt, der so extrem von Sparmaßnahmen betroffen ist, wie der Bereich Arbeit und Soziales. Nicht der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit steht im Vordergrund, sondern ein kopfloses Sparprogramm auf Kosten der arbeitsuchenden Menschen. Ich halte dies für einen falschen Weg.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Frank-Walter Steinmeier