Frage an Frank-Walter Steinmeier von Robert B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Herr Steinmeier,
in Deutschland arbeitet jeder zweite jugendliche Vollzeit-Arbeitnehmer (zwischen 15 und 24 Jahre), nach einer statistischen Auswertung der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit, im Niedriglohnsektor.
http://www.presseportal.de/pm/6351/2048172/leipziger_volkszeitung/rss
Dazu habe ich zwei Fragen:
Wird diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarktmarkt Ihre politische Arbeit beeinflussen?
Wie beurteilen Sie die Arbeitsmarktpolitik der SPD, die Gerhard Schröder wie folgt beschrieben hat: "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt."
http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/91/780791/multi.htm
Mit freundlichen Grüßen
Robert Berg
Sehr geehrter Herr Berg,
die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat sich - der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zum Trotz! - positiv entwickelt. Dieser Erfolg hat viele Väter: Unternehmer und Gewerkschaften, die Antikrisenpolitik der Großen Koalition sowie die Strukturreformen der SPD-geführten Bundesregierung.
Gleichwohl gibt es keinen Grund jetzt in Untätigkeit zu verharren. Nach wie vor sind etwa 3 Millionen Menschen offiziell arbeitslos gemeldet. Nach wie vor gibt es vor allem einen verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte weiterhin große Schwierigkeiten haben, in Beschäftigung zu kommen. Bei der Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit liegt Deutschland im OECD-Vergleich sogar auf dem vorletzten Platz. Zudem hängt der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen nach wie vor zu stark von ihrer sozialen Herkunft ab. Soziale Ungleichheiten verschärfen sich auch bei der Einkommens- und Vermögensverteilung rasant. Prekäre Arbeitsverhältnisse zu schlechten Löhnen und mit schlechter sozialer Absicherung nehmen zu. Durch die Kürzungen der Mittel (von über 20 Prozent allein 2011) und die Unterlassungen der schwarz-gelben Bundesregierung in der Beschäftigungspolitik droht unserem Land ein dauerhaft gespaltener Arbeitsmarkt: Während sich in einzeln Branchen (aktuell vor allem bei Erziehung, Pflege, Gesundheit und in bestimmten technischen und naturwissenschaftlichen Berufen) bereits ein Mangel an qualifizierten Fachkräften abzeichnet, sind immer noch viel zu viele Menschen in Dauerarbeitslosigkeit abgehängt.
Zudem ist der Umfang der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gewachsen und liegt inzwischen klar über dem Niveau der europäischen Nachbarländer. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten für einen Lohn, der selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung keine hinreichende materielle und sozio-kulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland ermöglicht. Ein wachsender Niedriglohnsektor und die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse bedeuten auch für den Staat eine Herausforderung. In erheblichem Umfang müssen Steuergelder eingesetzt werden, um den von Niedriglöhnen betroffenen Menschen zumindest das Existenzminimum zu gewährleisten. Darüber hinaus führen Niedriglöhne auch zu einer Erosion der Einnahmebasis der Sozialversicherungen und des Staates.
Die SPD-Bundestagsfraktion beobachtet diese Entwicklung sehr kritisch. Mit Nachdruck setzen wir uns für faire Löhne ein. Wer voll arbeitet, muss auch davon leben können und sollte nicht auf staatliche, vom Steuerzahler finanzierte Zusatzleistungen angewiesen sein. Deshalb fordern wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Unbefristete Vollzeitarbeit zu ordentlichen Löhnen muss in Deutschland wieder zum Normalfall werden, Arbeit muss sich lohnen. Dass Jugendliche und junge Arbeitnehmer besonders gefördert werden müssen, steht außer Frage. Nicht zuletzt angesichts des Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, dass junge Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen gefangen sind. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro würde sich nicht nur die Einkommenssituation von fünf Millionen Menschen verbessern, auch der deutsche Staat könnte seine angespannte Haushaltslage mit mehr als sieben Milliarden Euro entlasten.
Ich stehe zur Arbeitsmarktpolitik der SPD während der rot-grünen Regierungsjahre und der Großen Koalition. Wir haben damals notwendige und im Ergebnis richtige Entscheidungen getroffen. Natürlich müssen angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt auch neue Bewertungen vorgenommen und neue Entscheidungen getroffen werden. Dieser Verantwortung stellen wir uns in unserem Einsatz für eine neue Ordnung für gute Arbeit.
Mit freundlichen Grüßen,
Frank-Walter Steinmeier