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Frage von Marc T. •

Frage an Frank-Walter Steinmeier von Marc T. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Steinmeier,

ich bin per Zufall auf diese Online Petition (Nr.: 3789) im Deutschen Bundestag gestoßen die noch bis zum 07.01.2011 läuft:
https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=14686

Es geht in ihr darum, dass Deutsche in der gesetzlichen Krankenversicherung schlechter gestellt sind als Mitmenschen aus der Türkei die hier leben und GKV sind.
Der Grund hierfür ist, dass eine kostenlose Familienversicherung für die in der Türkei lebender Familienangehörigen, zu Lasten der deutschen GKV, bestehen kann.

Ich dachte die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen sind leer, wieso ist es denn dann so, das hier mit beiden Händen Geld der Versicherten aus dem Fenster geschmissen wird?
Zumal meines Erachtens hier durch eine politische Entscheidung das Versichertenrecht und das Gleichbehandlungsrecht (AGG) missachtet wird!?

Freundliche Grüße,

Thissen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Thissen,

Sie haben sich wegen der Krankenversicherung von türkischen Familienangehörigen an mich gewandt. Solche Schreiben erreichen die SPD-Bundestagsfraktion regelmäßig seit vielen Jahren. Die anliegende Stellungnahme des Gesundheitsministeriums ist hinsichtlich der Zahlen aktualisiert, wird aber in diesem Sinne seit vielen Jahren in der Argumentation von uns mitgetragen und trägt hoffentlich zur Versachlichung des Themas bei.

Hier die Information:

*„I. Bestehende Rechtslage*

In der Türkei oder im ehemaligen Jugoslawien lebende Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers erhalten im Krankheitsfall Leistungen der Krankenversicherung ihres Wohnsitzstaates. Die der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates hierdurch entstehenden Kosten sind von der deutschen Krankenversicherung zu erstatten. Rechtsgrundlage dieser Regelung ist im Verhältnis zur Türkei das deutsch-türkische Abkommen vom 30. April 1964 über Soziale Sicherheit.

Bei dieser Regelung handelt es sich jedoch nicht um eine Besonderheit in den von Deutschland mit anderen Staaten geschlossenen Sozialversicherungsabkommen. Sie entspricht vielmehr internationalem Standard, wie er bereits seit vielen Jahrzehnten üblich ist. Die Regelung findet Anwendung in der allgemeinen Praxis sowohl des zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts (bilaterale Sozialversicherungsabkommen) als auch des überstaatlichen Sozialversicherungsrechts (EU-Regelungen über Soziale Sicherung - VO (EWG) Nr. 1408/71). Sie beinhaltet u.a., dass die Beiträge der Versicherten in aller Regel nicht nur der Abdeckung des eigenen Krankenversicherungsschutzes dienen, sondern zusätzlich auch der Abdeckung des Schutzes der nicht erwerbstätigen Familienangehörigen, die im Herkunftsland des Versicherten wohnhaft geblieben sind.

Um nicht in jedem einzelnen Behandlungsfall eine verwaltungsaufwändige Abrechnung mit der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen durchführen zu müssen, erfolgt die Abrechnung der Kosten in Bezug auf die Türkei, Serbien, Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina durch kalenderjährlich zu vereinbarende Monatspauschalbeträge je Familie. Diese Beträge basieren auf den Durchschnittskosten der in den Wohnsitzstaaten geschützten Personen nach dortigem Recht und berücksichtigen die durchschnittliche Zahl der in diesen Staaten wohnenden Familienangehörigen. Bei der Abrechnung wird auf das Kostenniveau in den Wohnsitzstaaten der Familien abgestellt (also auf den durchschnittlichen monatlichen Aufwand in der jeweiligen Landeswährung).

Der vereinbarte Monatspauschalbetrag wird je Familie unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten Familienangehörigen gezahlt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das pauschalierte Abrechnungsverfahren den Verwaltungsaufwand wesentlich verringert und daher auch im Interesse der deutschen Krankenkassen liegt.

*
**II. Kosten für die deutsche gesetzliche Krankenversicherung*

Für das Jahr 2008 belief sich beispielsweise der vereinbarte vorläufige Monatspauschalbetrag für die Betreuung einer Familie in der Türkei auf umgerechnet 48,50 Euro. Der türkischen Krankenversicherung wurden für dieses Abrechnungsjahr bislang insgesamt umgerechnet rund 10,98 Mio. Euro von der deutschen Krankenversicherung erstattet (Stand 12/2009). Demgegenüber beliefen sich die Gesamtausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung z.B. im Jahr 2009 auf rund 165,4 Mrd. Euro.

Diese Zahlen zeigen, dass der Anteil der gegenüber der Türkei zu leistenden Erstattungsbeträge zusammengefasst gerade mal 0,007 Prozent der Gesamtausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ausmacht.

Die Familienversicherung der in den genannten Ländern lebenden Familienmitglieder ist eine sinnvolle Einrichtung, weil sie dazu beitrug, dass sich ein Teil der aus diesen Ländern angeworbenen Arbeitnehmer dafür entschieden hatte, ihre Familienangehörigen nicht mit nach Deutschland zu nehmen. Auch heute noch ist diese Regelung für einen Teil der über 500.000 aus der Türkei und ca. 280.000 aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer in Deutschland von Bedeutung, deren Familienangehörigen nicht nach Deutschland nachzogen, sondern aufgrund der Familienversicherung im jeweiligen Heimatland geblieben sind.

Der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung entstehen durch diese Regelungen keine Mehrbelastungen, sondern sogar erhebliche Einsparungen. Die Ausgaben der Krankenkassen wären deutlich höher, würden die Familienangehörigen nicht in ihren Heimatstaaten leben, sondern von ihrem Recht nach Deutschland nachzuziehen bzw. hier zu wohnen Gebrauch machen. Dies wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass sich im Jahr 2009 die Kosten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung je Mitglied im Durchschnitt auf monatlich rund 261 Euro beliefen.

Hinzu kommen die bereits oben erwähnten erheblichen Einsparungen an Verwaltungskosten durch das unbürokratische Verfahren der Monatspauschalbeträge.

*III. Klarstellungen zum versicherten Personenkreis*

Für den Fall der Kostenabrechnung auf der Grundlage von familienbezogenen Monatspauschalbeträgen richtet sich der Kreis der anspruchsberechtigten Familienangehörigen nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen. Zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören regelmäßig die Ehefrau, sofern sie nicht selbst versichert ist, und die minderjährigen Kinder eines Versicherten. Zu der immer wieder aufgestellten Behauptung der Mitversicherung einer moslemischen Zweitfrau ist zu sagen, dass bereits 1926 die Einehe in der Türkei gesetzlich verpflichtend eingeführt wurde.

Eltern eines Versicherten mit Wohnsitz z.B. in der Türkei sind nur dann ausnahmsweise anspruchsberechtigt, wenn sie nicht ohnehin leistungsberechtigt nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates aufgrund einer eigenen Versicherung (z.B. wegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) oder der Versicherung einer anderen Person sind, sie dabei nicht über eigene Einkünfte bzw. Eigentum verfügen und der unterhaltsverpflichtete Versicherte ihnen gegenüber tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringt. Geschwister eines Versicherten gehören nicht zu den anspruchsberechtigten Personen.

Es wird zusätzlich immer wieder vorgetragen, dass Eltern eines türkischen Versicherten, wenn sie sich nach Deutschland begeben, hier zu dem versicherten Personenkreis gehörten und folglich Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen erhielten. Hierzu ist zu sagen:

Bei Verlegung des Aufenthalts nach Deutschland gilt deutsches Krankenversicherungsrecht mit der Folge, dass Ansprüche dieses Personenkreises gegenüber der deutschen Krankenversicherung nicht bestehen; Eltern werden nach deutschem Recht nicht von der Familienversicherung erfasst.

*IV. Fazit*

Aufgrund der genannten Sozialversicherungsabkommen kommt es nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung ausländischer Versicherter in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Die Sozialversicherungsabkommen stehen im Einklang mit internationalen und supranationalen Standards wie sie innerhalb der EU bestehen und werden strikt eingehalten.

Durch die Anwendung des deutsch-türkischen und deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens entstehen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung keine Mehrbelastungen, sondern sogar Einsparungen, da die Familienangehörigen in ihren Herkunftsländern verbleiben und somit nicht zu den deutlich höheren deutschen Sätzen medizinisch versorgt werden müssen.

Die Vereinbarung zur Abrechnung der zu erstattenden Kosten für die Sachleistungsaushilfe basierend auf Monatspauschalen führt im Ergebnis zu erheblichen Kostenreduzierungen bei den gesetzlichen Krankenkassen, insbesondere wegen des unbürokratischen Verwaltungsverfahrens.“

Ich hoffe, dass Ihnen die Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit weiterhilft.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Frank-Walter Steinmeier