Frage an Frank Spieth von Daniel von W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Geehrter Herr Spieth,
meine Person fühlt sich in keinster Weise mehr der Demokratie hingezogen, denn das was ich in unserer Politiklandschaft erlebe ist reiner Machterhaltungstrieb der Probanten und geht zu lasten des Landes und Volkes was m.E. eine Beleidigung gegenüber dem Staat und seinen Bürgern ist.
Wie stehen Sie Herr Spieht zu der Aussage des Herrn Münterfering, dass Deutschland eine neue (ich sage überhaupt mal eine seit 1949) Verfassung bekommen soll? Diese überhaupt Staatsrelevante Maßnahme sollte doch schon mit dem "Willen" der Allierten im Jahre 1990 stattfinden sollen.
Denn mit einer Verfassung und mit einem evt. Friedensvertrag würde unser Land endlich wieder die Selbständigkeit und Souveränität, die viele Länder an uns bemängeln,erlangen die ein neues WIR Gefühl auslösen würde und ich denke auch der Politikverdrossenheit entgegenwirken wird.
Sehr geehrter Herr von Waldenburg,
Sie haben Recht. Vieles in unserer Demokratie ist verbesserungswürdig und nicht immer handeln die gewählten Vertreter im Sinne des Volkes, sondern in ihrem eigenen Interesse und dem Interesse einiger Interessengruppen, die jedoch nicht die Mehrheit des Volkes darstellen, sondern Einzelinteressen vertreten.
Dies ist für mich aber kein Grund, an der Demokratie zu zweifeln. Sie muss vielmehr ausgebaut werden. Auf der einen Seite bedarf es einer wesentlichen Erleichterung für Bürgerinitiativen, Volksentscheide und insgesamt mehr direkte Demokratie im ganzen Land, wofür sich DIE LINKE einsetzt. Dafür müssen Hürden abgebaut und die Beteiligung an Entscheidungen gestärkt werden. Nur wenn die Menschen das Gefühl haben, durch Eigeninitiative auch etwas erreichen zu können, werden sie selbst politisch tätig werden.
Grundvoraussetzung zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Demokratie ist die umfassende Bildung aller Menschen im Lande. Bildung und Information darf nicht Privileg besserer Einkommensschichten sein, sondern muss für alle Menschen zugänglich sein.
Leider haben wir in Deutschland immer noch ein Bildungssystem, in welchem Arbeiterkinder und Kinder mit Migrationshintergrund wegen der frühen Auslese kaum eine Chance haben, einen höheren Abschluss zu machen. DIE LINKE setzt sich daher für eine Reform des Bildungssystems ein und spricht sich für ein Schulsystem aus, in dem Kinder länger gemeinsam lernen.
Auf der anderen Seite muss in Zukunft die Verantwortung der Abgeordneten, im Sinne des Volkes Entscheidungen zu treffen, gestärkt werden. Dies sowohl in der Kommune, im Land oder auf Bundesebene.
Es muss daran gearbeitet werden, das Bewusstsein der Abgeordneten für ihre Tätigkeit zu ändern. Das kann unter anderem durch Gesetze erreicht werden, die zum Beispiel die Zuverdienste von Abgeordneten regeln. Ein Schritt zu mehr Transparenz wurde bereits gemacht, indem Abgeordnete ihre Nebeneinnahmen nun auf den Internetseiten des Bundestags veröffentlichen müssen. Bei einigen Abgeordneten wird schon anhand dieser Liste von Nebeneinnahmen ersichtlich, in wessen Sinne Sie Politik machen.
Mir selbst ist es bei meiner Arbeit als Abgeordneter sehr wichtig, den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu verlieren. Voraussetzung dafür ist eine intensive Wahlkreisarbeit. In der laufenden Legislaturperiode habe ich beispielsweise neben meinen normalen Sprechstunden für Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreisbüro immer auch offene Bürgersprechstunden organisiert. Dadurch erhielten viele Bürger die Möglichkeit, direkt in ihrem alltäglichen Umfeld, z.B. auf öffentlichen Plätzen, Märkten oder in ihrem Wohngebiet, mit mir über ihre Anliegen zu sprechen.
Dem zweiten Teil ihrer Frage stehe ich skeptisch gegenüber. Ob eine Verfassung für ein neues Wir-Gefühl sorgen würde, vermag ich nicht zu sagen. Um vernünftige Impulse in das Land auszusenden, wäre ein verfassungsgebender Prozess nötig, der den Bürgerinnen und Bürgern ein demokratisches Mitspracherecht bei der Diskussion über eine solche Verfassung ermöglicht.
Unser Grundgesetz wurde von einem Sachverständigenausschuss innerhalb weniger Wochen erarbeitet und ohne Volksabstimmungen durch die westdeutschen Länderparlamente 1949 in Kraft gesetzt. Freilich erst nachdem die westlichen Alliierten dem Entwurf zugestimmt hatten. Das Grundgesetzt war ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht, bis es eine richtige deutsche Verfassung gibt, die in freier Entscheidung vom deutschen Volk beschlossen wird. Dies sollte ausdrücklich mit einer deutschen Wiedervereinigung stattfinden. Die Chance wurde aber 1990 nicht genutzt. Stattdessen hat die Regierung Kohl erreicht, dass die neuen Bundesländer dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beigetreten sind. Eine Diskussion über eine Verfassung wurde damit im Keim erstickt, das Grundgesetzt behielt den Verfassungscharakter.
Ob eine Initiative für eine Verfassung derzeit Sinn machen würde und Erfolg hätte, vermag ich nicht zu sagen. Müntefering mag zwar die Forderung nach einer Verfassung gestellt haben, allerdings sicher nicht nach einer Verfassung, über deren Inhalte die Bürgerinnen und Bürger entsprechend Mitspracherecht haben. Dies wäre für mich eine Grundvoraussetzung für einen verfassungsgebenden Prozess.
Letztlich glaube ich, dass das Grundgesetz sich in vielen Punkten bewährt hat. Es wäre schon ein großer Erfolg, wenn alle darin garantierten Bürgerrechte und politischen Rechte den Bürgerinnen und Bürgern auch gewährt würden.
Ich denke allerdings, dass das Grundgesetz hinsichtlich des Sozialstaats-Prinzips konkretisiert werden sollte. Denn das Grundgesetz enthält zwar das Bekenntnis zum sozialen Bundesstaat im Artikel 20, das ist aber nur wenig konkret. Das einfache Wort "sozial" im Grundgesetz gibt viel Raum für Interpretationen, weshalb bisher der gesetzgeberische Umgang mit dem Sozialstaats-Prinzip auch großen Schwankungen unterlag. Die unkonkrete Benennung der Mindestinhalte des Sozialstaats-Prinzips im Grundgesetz hat sich gerade in den letzten Jahren negativ auf das Gemeinwesen ausgewirkt. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hat deshalb vor kurzem einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.
Die Frage der Souveränität der BRD und eines Friedensvertrages (mit wem?) stellt sich für mich nicht. Meines Erachtens ist die BRD ein souveräner Staat der sich grundsätzlich im Frieden mit den Völkern der Erde befindet. Dies schließt ausdrücklich meine vehemente Kritik an der derzeitigen Verteidigungs- und Bündnispolitik der BRD und der NATO (Stichwort: Afghanistan) nicht aus.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Frank Spieth