Wie ist Ihre Position zu ME/CFS und was werden Sie persönlich und Ihre Partei konkret unternehmen, um die sehr schlechte Versorgung bezüglich ME/CFS in BW schnell und effektiv deutlich zu verbessern?
ME/CFS (G93.3) ist eine in Deutschland seit Jahrzehnten vergessene Erkrankung, obwohl sie häufig ist und stellt eine stille humanitäre Katastrophe dar. Dies muss nun dringend und schnell beendet werden, Hilfe muss endlich bei den Erkrankten ankommen. Das Leid durch die Erkrankung und das im Stich lassen durch den Staat der vielen Betroffenen ist sehr groß! Nach aktuellem internationalen wissenschaftlichen Forschungsstand ist ME/CFS eine schwere, komplexe, häufige, chronische neuroimmunologische Multisystemerkrankung (siehe WHO, CDC, NIH, NICE, EUROMENE, RKI, Bundesärztekammer, KBV, IQWiG, Charite Berlin, WD des Dt. Bundestages). Wie ist Ihre Position zu ME/CFS und was werden Sie persönlich und die SPD konkret unternehmen, um die sehr schlechte Situation bei weiterhin nicht vorhandener Versorgung, kaum stattfindender Forschung und fehlender Anerkennung auch in BW schnell und effektiv deutlich zu verbessern? Wird es hierfür neue Professorenstellen, was sehr wichtig wäre, in BW geben?
Sehr geehrter Herr A.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Fragen auf abgeordnetenwatch.de.
In Ihrer Nachricht beschreiben Sie die Situation von Menschen, die an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) leiden, sehr eindringlich. Die Betroffenen und ihre Angehörigen haben häufig einen langwierigen Leidensweg hinter sich haben, bis sie zu dieser niederschmetternden Diagnose gelangen. Sie können sich sicher sein, dass wir diese Sorgen und das Anliegen sehr ernst nehmen.
Als Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Integration der Landtags Baden-Württemberg haben wir uns in unserer Sitzung am 1. März 2023 mit einem interfraktionellen Antrag zu ME/CFS befasst, in deren Anschluss eine Informationsreise der zuständigen Sprecher*innen der Fraktionen an die Charité nach Berlin stattfand. Der Landtag von Baden-Württemberg liegt im Ländervergleich mit den anderen Landesparlamenten in der Spitzengruppe, wenn es um die Frage geht, wie intensiv sich die zuständigen Abgeordneten mit dem Thema ME/CFS beschäftigen.
Das geht nicht zuletzt auch auf Initiativen aus der SPD-Fraktion zurück. Wir stehen zu dem Thema auch in Kontakt zu der Berichterstatterin in unserer Bundestagsfraktion. Denn ohne ein gemeinsames und abgestimmtes Wirken in Bund und Ländern kommen wir hier kaum voran.
Die Corona-Pandemie hat in einem Nebeneffekt dazu geführt, dass ME/CFS deutlicher als bisher wahrgenommen wird. Das ist schlecht, weil es mit steigenden Zahlen von Betroffenen zusammenhängt, aber gleichzeitig auch gut, weil damit der Druck, die Forschung zu ME/CFS auszuweiten und die Versorgung zu verbessern, steigt. Wir vertreten die Auffassung, dass Baden-Württemberg selbst in die Verbesserung von Forschung und Versorgung einsteigen muss und nicht mehr allein mit dem Finger auf andere zeigen darf. In dem Antrag 17/3780 sind Maßnahmen enthalten, wie das verwirklicht werden kann.
Wir hätten uns dabei auch noch weitergehende Beschlüsse vorstellen können, aber dafür gab es leider keine Mehrheit.
Wir sind übereingekommen das wichtige Thema weiter zu verfolgen und haben uns im Ausschuss zum Ziel gesetzt den Austausch mit maßgeblichen Verbänden, Akteur*innen aus Versorgung, Gesundheitswesen und Forschung aus Baden-Württemberg und gegebenenfalls darüber hinaus zu treten, um das bisherige Wissen zu Diagnostik und Therapie im Umgang mit ME/CFS in die Breite zu tragen und gemeinsame Maßnahmen zu eruieren, die zu einer Verbesserung der Versorgungslage betroffener Menschen führen.
Wir haben damit jetzt eine Beschlusslage, die wesentlich besser ist als die Situation davor, und die Landesregierung muss uns zu gegebener Zeit über die Umsetzung berichten. Dass die Landesregierung bei der Umsetzung der Beschlüsse auch die Selbsthilfe einbezieht, ist aus unserer Sicht dringend geboten. Das gilt auch im Hinblick auf die von Ihnen aufgestellten Forderungen.
Der Auftrag zur Verbesserung der Versorgung muss aus unserer Sicht auch dazu führen, dass Anträge für Modellprojekte – wie etwa das aus dem Ortenauklinikum – mindestens eine Chance auf Zustimmung erhalten und nicht von vorneherein abgelehnt werden.
Darüber hinaus unternimmt auch die Bundesregierung einige Anstrengungen, um das Krankheitsbild ME/CFS näher zu erforschen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert deshalb bereits die Etablierung der Nationalen Klinischen Studiengruppe „Post-Covid Syndrom und ME/CFS“ zur Durchführung von klinischen Phase II-Studien mit insgesamt zehn Millionen Euro bis Ende 2023. Hier sollen bereits zugelassene Medikamente identifiziert werden, die bei positiven Studienergebnissen schnell in die Versorgung gelangen können.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wiederum fördert im Rahmen seiner Ressortforschung derzeit einen Verbund des Klinikums rechts der Isar der TU München und der Charité Berlin. Ziel ist der Aufbau eines altersübergreifenden klinischen Registers mit einer Biodatenbank. Die durch das Register gewonnenen Daten werden explizit auch Patient*innen mit ME/CFS nach einer COVID-19-Infektion erfassen.
Die gemeinsamen Anstrengungen der Bundesregierung werden in einem beim Leitungsstab des BMG angesiedelten Arbeitsstab zwischen den beteiligten Ressorts fortlaufend koordiniert. In die Arbeit des Stabes fließen kontinuierlich auch Hinweise und Forschungsanstrengungen aus aller Welt mit ein. Darüber hinaus hat das BMG das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bereits im März 2021 damit beauftragt, den aktuellen Wissenstand zu ME/CFS systematisch aufzuarbeiten. Ein abschließender Bericht wird im Juni dieses Jahres erwartet. Erst dann wird man die bereits laufenden Aufklärungskampagnen – beispielsweise durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – weiter ausbauen und auf eine noch validere Grundlage stellen können.
Ich hoffe, Ihrem Anliegen damit Rechnung zu tragen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Florian Wahl MdL (er/ihm)
Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg
Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Integration