Besteht seitens der Ampelkoalition der Plan, das Reichskonkordat zu kündigen?
Sehr geehrter Herr Toncar,
Die Frage der Sonderrechte der Kirchen (nicht zuletzt auch der Kirchenbeitragseinzug durch den Staat) beschäftigt mich und viele Menschen in meinem Umfeld schon seit geraumer Zeit. Mit der Ampelkoalition ist zum ersten Mal seit Langem eine nicht religiös geprägte Regierung am Ruder. Das gibt uns Kirchenkritikern Anlass zu Hoffnung. Die Ablösung des Reichskonkordats muss ja nicht bedeuten, dass gleich alle darin enthaltenen, z.T. vernünftigen Regeln zum Umgang mit Religionsgemeinschaften ersatzlos gestrichen werden müssen, sondern nur, dass dieser auf neue, zeitgemäße Füße gestellt wird.
Vielen Dank für Ihre Arbeit und für Ihre Erwägung einer Antwort auf meine Frage.
Michael D.
71093 Weil im Schönbuch
Sehr geehrter Herr D.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Reichskonkordat und zum Verhältnis zwischen Kirchen und Staat im Allgemeinen.
Wir sehen in der Koalition mit SPD und Grünen in bestimmten Punkten einen Anpassungsbedarf im Verhältnis zwischen Kirchen und Staat. Als wichtigstes Projekt ist hier die finanzielle Entflechtung zu nennen: Wir möchten die jährlichen Staatsleistungen ablösen und das dafür notwendige Grundsätzegesetz in dieser Legislaturperiode beschließen. Zudem werden wir Angleichungen des kirchlichen Arbeitsrechts an das staatliche Arbeitsrecht prüfen und die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in Kirchen, aber auch anderen betroffenen Institutionen forcieren.
Im Grundsatz hat sich unserer Ansicht nach jedoch das seit der Weimarer Republik etablierte kooperative Trennungsmodell im Verhältnis zwischen Kirchen und Staat bewährt. Da Deutschland seither jedoch religiös deutlich vielfältiger wurde, möchten wir das Religionsverfassungsrecht so weiterentwickeln, dass auch andere Religionsgemeinschaften jenseits der etablierten Kirchen gleichbehandelt werden. Ein grundlegend anderes Religionsverfassungsrecht, das mit einer Kündigung des Reichskonkordats oder anderer Staatskirchenverträge einherginge, streben wir in der Koalition jedoch nicht an.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für das Jahr 2022 und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Florian Toncar