Frage an Florian Pronold von Martin L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Florian Pronold,
ich wende mich hier öffentlich als Bürger an Sie, weil Abgeordnetenwatch derzeit die immer noch beste Schnittstelle der digitalen Demokratie ist und weil Sie für mich die Hoffnung auf eine zukunftsorientierte, erneuerte Sozialdemokratie mitverkörpern.
Deshalb meine Frage: Wie stehen Sie zum "Telemediengesetz"?
Als Follower Ihres Twitter-Accounts ist mir das bis jetzt noch nicht klar geworden.
(Grundsätzlich fände ich es übrigens eine sehr gute Idee im Sinne der anbrechenden digital-direkten Demokratie, wenn Abgeordnete, sobald sie zu einer Position in aktuellen Fragen gefunden haben, das auch via Twitter per Link kundtun.)
Haben Sie die differenzierten Argumentationen der Gegner des Gesetzes verfolgt? Inwieweit teilen Sie meine Ansicht, dass das Gesetz
(1) nicht nur nichts gegen Kinderporngraphie hilft, sondern sogar schadet;
(2) gegen rechtsstaatliche Prinzipien einer freien digitalen Informationsgesellschaft massiv verstößt;
(3) ein weiterer symptomatischer Schritt ist, der den ohnehin bestehenden kulturtechnischen Rückstand des "Internet-Entwicklungslandes Deutschland" weiter vertieft und festschreibt?
Mit herzlichem Gruß
Martin Lindner
Sehr geehrter Herr Lindner,
vielen Dank für ihre Anfrage zum Thema Bekämpfung von Kinderpornografie/Telemediengesetz, zu dem ich gerne Stellung nehme.
1. Sie vetreten die Ansicht, dass die Änderungen im Telemediengesetz
nicht geeignet sind, Kinderpornografie zu bekämpfen bzw. dass sie sie
sogar fördern.
Wir haben zwischenzeitlich und nach intensiven Diskussionen durchgesetzt, dass es eine spezialgesetzliche Regelung (Zugangserschwerungsgesetz) mit Befristung gibt, die nicht im Telemediengesetz verankert ist. Das Gesetz tritt automatisch zum 31. Dezember 2012 außer Kraft, so dass in jedem Falle die vorgesehene Evaluation auszuwerten ist, auf deren Basis endgültig entschieden werden kann. Zusätzlich haben wir eine Bestimmung aufgenommen, die ausschließt, dass die neu geschaffene Infrastruktur zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche genutzt werden kann. Ich bin sicher, dass wir mit der neuen gesetzlichen Regelung nicht nur die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet bekämpfen, sondern zugleich Internetnutzer schätzen,rechtsstaatliche Grundsätze sichern und ein transparentes Verfahren ermöglichen.
2. Sie sind der Ansicht, es liege ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien einer freien digitalen Informationsgesellschaft vor.
Bei Kinderpornografie handelt es sich nicht um "freie Informationen", auf deren Zugang es ein natürliches Recht gäbe. Vielmehr handelt es sich um Straftatbestände. Das dürfte weitgehend unbestritten sein. Auch ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Ein rechtswidriges Verhalten dort kann selbstverständlich strafbar sein oder zivilrecht lich verfolgt werden. Wir haben sichergestellt, dass wesentliche rechsststaatliche Grundsätze in diesem Gesetz umgesetzt werden konnten:
1. Verankerung des Subsidiaritätsprinzips: Löschen vor Sperren: Die Aufnahme in die Sperrliste des BKA erfolgt nur, so weit zulässige Maßnahmen, die auf eine Löschung der Internet-Seiten mit kinderpornografischen Inhalten abzielen, keinen Erfolg haben. 2. Kontrolle der BKA-Liste und Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener: Beim Datenschutzbeauftragten des Bundes wird ein unabhängiges Gremium bestellt, dessen Mitglieder mehrheitlich die Befähigung zum Richtera mt haben müssen. Das Gremium kontrolliert die BKA-Liste regelmäßig und kann sie jederzeit einsehen und korrigieren, soweit die Voraussetzungen für eine Sperrung nicht vorliegen. Gegen die Aufnahme in die Sperrliste ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
3. Datenschutz:
Das Gesetz dient ausschließlich der Prävention. Verkehrs- und Nutzungsdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolg ung verwendet werden. Damit wird auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgeleitete Nutzer/innen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen könnten. Zudem ist keine Speicherung personenbezoge ner Daten bei den Internetprovidern mehr vorgesehen. 4. Die spezialgesetzliche Regelung mit Befristung habe ich eingangs
bereits genannt.
Auch wenn natürlich grundsätzliche Bedenken gegen den Aufbau einer entsprechenden Sperrinfrastruktur bestehen, die bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag auch zu anderen Zwecken als der Sperrung kinderpornografischer Inhalte genutzt werden könnte, sehe ich die nunmehr verabschiedeten Regelungen als wirkungsvollen Schritt zur Bekämpfung von Kinderpornografie im inter
net an.
Für mich steht fest, dass eine Ausweitung der Sperrinfrastruktur für andere Zwecke grundsätzlich ausgeschlossen ist.
4. Sie sehen eine Vertiefung eines kulturtechnischen Rückstands in Deutschland. Diese Ansicht kann ich nicht teilen. Mir liegen keine Beweise dafür vor, dass Deutschland kulturtechnisch rückständig ist.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Pronold
Mitglied des Deutschen Bundestages