Frage an Florian Bernschneider von Peter B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bernschneider,
die Unterschriftensammlung für die Mitgliederbefragung in der FDP zum permanenten Stabilisierungsmechanismus (ESM) ist gut angelaufen.
Findet dieses Vorhaben (Mitgliederbefragung) Ihre Unterstützung?
Teilen Sie die Ansichten Ihres Vorsitzenden zu einer möglichen Insolvenz Griechenlands?
Sollte es zum ESM bzw. zur Zukunft des Euro eine Volksabstimmung geben?
Mit freundlichen Grüßen
Peter Burkert
Sehr geehrter Herr Burkert,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Gegen die Mitgliederbefragung zum geplanten Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) ist nichts einzuwenden, da es das gute Recht der Parteimitglieder ist, über Sachfragen direkt abzustimmen. Diese Möglichkeit sieht die Satzung der Liberalen vor. Ich persönlich unterstütze den Antrag zur Mitgliederbefragung von den sogenannten „Euroskeptikern“ nicht, da dieser sehr dezidiert darlegt, wogegen sich die Mitglieder entscheiden können, jedoch zeigt der Antrag keinerlei Alternativen auf. Das ist aus meiner Sicht für eine Partei, die im Bund sowie in mehreren Ländern in der Regierungsverantwortung steht, zu wenig. Es passt auch nicht zu meinem Verständnis von politischer Verantwortung, wenn man Hilfsmaßnahmen für die europäische Gemeinschaftswährung, von der Deutschland als Exportnation seit jeher sehr profitiert hat, alternativlos ablehnt. Das Instrument der Mitgliederbefragung insgesamt befürworte ich hingegen ohne Wenn und Aber.
Um meine Haltung zu Ihrer Frage, ob ich den Vorstoß des Bundeswirtschaftsminister Dr. Rösler unterstützte, darzulegen, möchte ich Sie bitten, sich die Gründe für die aktuelle Eurokrise vor Augen zu führen. Ursache der Krise waren nicht etwa die Ratingagenturen, sondern das jahrzehntelange Anhäufen eines riesigen Schuldenberges in Griechenland. Die Ratingagenturen haben zu Recht an einem gewissen Punkt angezweifelt, ob es Griechenland überhaupt möglich sein wird, den Schuldenberg jemals wieder abzutragen. Folglich stuften sie die Kreditwürdigkeit Griechenlands herab. Die Regierungskoalition hat in dieser Situation keinesfalls die Haltung eingenommen, dass die Griechen mit dieser Situation selbst zurecht kommen müssen, sondern ein Hilfspaket aufgelegt, dass es Griechenland ermöglichte, sich wieder an den Finanzmärkten zu refinanzieren. Wir haben diese Hilfen mit der klaren Auflage verbunden, dass Griechenland einen strikten Konsolidierungs- und Reformprozess einleiten muss, um wieder handlungsfähig zu werden. Allein die No-Bail-Out-Klausel würde es aber verbieten, diese Hilfen nur auf Grundlage europäischer Solidarität aufzubauen. Vielmehr ging es auch darum, eine Kettenreaktion zu verhindern, die nach einer Pleite Griechenlands erhebliche Konsequenzen für den gesamten Währungsraum gehabt hätte. Genau deswegen hat der Deutsche Bundestag mehrfach entschieden, dass neben klaren Auflagen für die Hilfszahlungen Mechanismen entwickelt werden müssen, um eine drohende Kettenreaktion durch die Zahlungsunfähigkeit eines einzelnen Mitgliedsstaates zu verhindern.
Über ein Jahr später stellen wir nun fest, dass Griechenland den versprochenen Konsolidierungs- und vor allem Reformmaßnahmen nicht ausreichend nachgekommen ist. Dabei handelt es sich um weit mehr als eine abstrakte Feststellung der deutschen Tagespolitik. Vielmehr hat die Troika, das Gremium, das wir mit der Kontrolle der Einhaltung dieser Maßnahmen beauftragt haben, ihre Untersuchungen in Griechenland vor einigen Tagen abgebrochen. Sollte die Troika bei ihrer erneuten Prüfung in den kommenden Tagen zu dem Ergebnis kommen, dass tatsächlich die Grundlage für die Auszahlung einer weiteren Tranche fehlt, stehen wir schon in wenigen Wochen vor der konkreten Frage, wie es mit Griechenland weitergeht.
In dieser Situation hat Herr Dr. Rösler in seinem vielzitierten Welt-Beitrag festgestellt, dass es unser aller Ziel sein muss, die Funktionsfähigkeit des betroffenen Staates wiederherzustellen und eine klare Gesundungsperspektive für die Wirtschaft des jeweiligen Mitgliedstaates zu erreichen. Zugleich muss sichergestellt werden, dass der Hilfen erhaltende Staat auch seinen Verpflichtungen nachkommt. Diese Analyse unterstütze ich voll und ganz. Schließlich stellt der Bundeswirtschaftsminister hiermit klar, dass Griechenland, wenn es die Vorgaben der Troika erfüllt, sich auf die Solidarität der Euroländer verlassen kann. Unternimmt es jedoch nicht die nötigen Reform- und Sparanstrengungen, wird es keine weitern Eurohilfen erhalten. Dann wird Griechenland de facto in wenigen Wochen zahlungsunfähig sein. Vor diesem Hintergrund mahnt Herr Dr. Rösler völlig zu Recht an, dass Verfahren und Instrumente auf europäischer Ebene geschaffen werden müssen, die eine Insolvenz/Resolvenz Griechenlands oder eines anderen Mitgliedsstaates ermöglichen. Schließlich kann es nicht sein, dass ein Staat die Voraussetzungen für weitere Hilfen nicht erbringt, aber trotzdem zusätzliche Gelder erhält. Dann würden Staaten, die sich auch in der Wirtschaftskrise um eine soliden Staatshaushalt bemüht haben, bestraft und Schuldensünder belohnt.
Damit wird auch deutlich, dass der Populismusvorwurf gegenüber Herrn Dr. Rösler ungerechtfertigt ist. Wenn Politik in der geschilderten Situation nicht bereit ist, den Menschen reinen Wein einzuschenken und die Wahrheiten auszusprechen, die sie selbst längst als Versprechen im Rahmen der Euro-Rettung abgegeben hat, ebnet sie tatsächlich den Stammtischen den Weg, mit Euroskepsis nicht nur eine Währung, sondern die gesamte europäische Idee in Frage zu stellen.
Schließlich möchte ich zu Ihrer Frage nach einer Volksabstimmung über den Euro Stellung nehmen. Vorab ist zu sagen, dass unsere Verfassung derzeit einen Volksentscheid auf Bundesebene grundsätzlich (ausgenommen bei einer Neugliederung des Bundesgebietes und im Falle einer Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung) nicht vorsieht. Dies ändert nichts daran, dass ich Volksentscheide für den richtige Weg zu einer transparenten, bürgernahen Demokratie halte, die zum Mitreden und Mitdenken einlädt. Auf diese Weise wird die Politik gezwungen, ihre Entscheidungen den Bürgern zu erklären und sich nicht hinter unverständlichen Formulierungen zu verstecken, da ihre Entscheidungen am Ende durch das Volk, den Souverän, per Volksentscheid korrigiert werden könnten.
Ob dies allerdings in der Euro-Frage zielführend wäre, wage ich zu bezweifeln, zu mal Deutschland über verschiedene Verträge in die Europäische Union und die Eurozone eingebettet ist. Diese multilateralen Verträge lassen sich nicht per Volksentscheid in Deutschland verändern oder aushebeln. Die Menschen in unserem Land könnten lediglich per Abstimmung entscheiden, dass Deutschland aus der Eurozone ausscheiden solle. In diesem Fall wären die wirtschaftlichen Folgen für unser Land, wie für die gesamte Eurozone, unabsehbar. Daher glaube ich auch nicht, dass ein entsprechendes Begehren Erfolg hätte.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Bernschneider MdB