Frage an Florian Bernschneider von Michael L. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Bernschneider,
Ihr Parteikollege Westerwelle machte nach dem Urteil des BVerfG zu den Hartz IV-Sätzen wiederholt Schlagzeilen damit, dass seiner Meinung nach nicht ein Teil der Bevölkerung von Steuern leben könne, die ein anderer Teil durch Arbeit erst zahle. Könnten Sie mir freundlicherweise Ihre Position als Braunschweiger Abgeordneter dazu mitteilen, ob die Sichtweise, ein Teil der Bevölkerung lebte auf Kosten eines anderen Teils von Ihnen geteilt wird, wenn Sie bedenken, dass dass ein dritter Teil der Bevölkerung trotz Arbeit zusätzlich Leistungen nach Hartz IV zur Existenz beantragen muss?
Mich würde Ihre Meinung sehr interessieren, vielen Dank für Ihre Antwort und Mühe.
Mit freundlichem Gruß
M.Langer
Sehr geehrter Herr Langer,
haben Sie Dank für Ihre Frage vom 17. Februar 2010, mit der Sie mich auf die Aussagen des Bundesaußenministers Dr. Guido Westerwelle zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 ansprechen.
Über die Wortwahl lässt sich streiten, aber Guido Westerwelle hat auf einen ganz zentralen Punkt hingewiesen: Der deutsche Staat gibt bereits heute über die Hälfte des Bundeshaushaltes für Sozialleistungen aus. Das ist der mit Abstand größte Posten. Fast ein Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung unseres Landes wird mittlerweile durch den Staat umverteilt. Trotzdem gibt es jede Menge Politiker und Medien, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sofort nach neuen Ausgaben in Form von höheren ALG-II-Regelsätzen riefen, obwohl das Gericht dies gar nicht fordert. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich festgestellt, dass die bisherige Berechnung der Sätze von Kindern völlig willkürlich und nicht nachvollziehbar ist. Das Urteil und dessen Begründung gibt nicht nur Anlass, über die finanzielle Ausgestaltung der Sozialhilfe zu diskutieren. Eine differenzierte Betrachtung der aktuellen Situation erfordert es, auch über Fragen der gesellschaftlichen Eingliederung und Partizipation von Hilfebedürftigen zu sprechen.
Dass sich nun ausgerechnet Vertreter von SPD und Grünen zu Wort melden, die für die verkorksten Hartz-Reformen in erster Linie verantwortlich sind, und die christlich-liberale Koalition kritisieren, hinterlässt einen faden Beigeschmack und hilft niemandem weiter. In dieser Situation hat Guido Westerwelle darauf hingewiesen, dass wir, bevor wir uns über Ausgabensteigerungen unterhalten, uns zuerst darum kümmern sollten, unseren Sozialstaat treffsicherer zu machen. Er hat keineswegs davon gesprochen, dass er eine Kürzung der Sätze für sinnvoll hält. Ganz im Gegenteil. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass es sogar zu Steigerungen kommt; gerade bei denen, die sich selbst nicht helfen können, den Kindern.
Es zeigt sich mehr und mehr, dass sich, trotz immer höherer Sozialausgaben, die Situation vieler Hilfebedürftiger nicht verbessert. Etliche staatliche Hilfsangebote erreichen ihre Adressaten offensichtlich nicht. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. In Deutschland werden rund 140 Sozialleistungen von 45 Behörden verwaltet. In diesem Verwaltungsdickicht finden sich viele Menschen nicht zurecht. Ein solch unübersichtlicher Sozialstaat hilft nicht den Bedürftigen, sondern bevorzugt die Findigen, die sich im System auskennen. Mit diesem sozialpolitischen Durcheinander wollen wir Liberale aufräumen. Für uns ist es unabdingbar, die Sozialstaatsbürokratie zu reformieren. Aus unserer Sicht brauchen wir einen starken Staat, der sich unbürokratisch um die Bedürftigen kümmert und sich nicht verzettelt.
Natürlich waren die Äußerungen von Herrn Westerwelle, zumindest jene, die aktuell in den Medien kursieren, zugespitzt. Aber man muss sich auch die Frage stellen, ob es eine mediale Debatte in diesem Zusammenhang gegeben hätte, wenn die Äußerungen oder Überschriften differenzierter gewählt gewesen wären. Mit dem Konzept des Liberalen Bürgergeldes haben wir Liberale bewiesen, dass wir seit langem an einer differenzierten Debatte interessiert sind und entsprechende Konzepte erarbeitet haben. Daher sehe ich die FDP für die kommende Diskussion gut gewappnet. Ferner versichere ich Ihnen, dass es keinesfalls mein Interesse ist, aber auch nicht das Interesse der FDP, in einer solchen dringend notwendigen und differenzierten Debatte einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzubringen. Ganz im Gegenteil: Es geht uns vielmehr um die nötige Fairness in unserem Sozialstaat, um solche Konflikte in Zukunft zu vermeiden.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Bernschneider